Die Unterstützungsvorstellung im sozialdemokratischen Konzept des aktivierenden Sozialstaates

Im Zuge der sich seit etwa Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts auch in Deutschland in Politik und Wissenschaft intensivierenden Debatte über den Umbau des Sozialstaates, rückte im Zusammenhang mit Konzepten zum „Formund Funktionswandel des Staates“ der Stellenwert der Selbststeuerung und die Ausgestaltung der Selbstorganisation seiner Adressaten in den Fokus der Reformüberlegungen. Dabei wurde die Vorstellung vom aktivierenden Staat, die von führenden Kreisen der Sozialdemokratie in Westeuropa als eine Art ‚dritter Weg' zwischen absicherndem und schlankem Staat aufgefasst wurde, politisch einflußreich.

Vor dem Hintergrund dieser Neupositionierung bestimmte die Regierung Schröder die Rolle und die Aufgaben des deutschen Sozialstaates, insbesondere in Bezug zu Arbeitslosen und Bedürftigen, neu. Sie setzte sich zum Ziel, den bisher als absichernd begriffenen Sozialstaat, der sich als Korrektiv der Marktergebnisse versteht und nachträglich den Ausgleich defizitärer Soziallagen über die Verteilung sozialer Anspruchsrechte und den damit verbundenen Geldleistungen erreicht, in einen präventiv steuernden, auf die Ermöglichung von Beschäftigung zielenden investiven Sozialstaat umzubauen. Im Rückblick kündigte sich die neue Ausrichtung des Sozialstaates mit der Einführung des SGB III im Jahre 1998, in Novellierungen des BSHG seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und dem 2001 verabschiedeten Job-AQTIVGesetz an, nahm im Abschlussbericht der Hartz-Kommission aus dem Jahre 2002 und den Regierungserklärungen von Bundeskanzler Schröder vom 29.10.2002 und vom 14.3.2003 Gestalt an und wurde in den zwischen 2003 und 2005 in Kraft getretenen ‚Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt' rechtlich verankert.

Die arbeitsmarktzentrierte aktivierende Ausrichtung des Sozialstaates basiert auf drei Säulen: einer neuen Vorstellung von Verantwortungsteilung zwischen Staat, gesellschaftlichen Akteuren und Leistungsberechtigten, der Auffassung, dass letztlich nicht mehr der Staat für die Daseinsvorsorge seiner Adressaten zu sorgen hat, sondern diese selbst für ihre Existenzsicherung verantwortlich sind und der zentralen Aufgabe des Staates, den Adressaten Erwerbschancen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu eröffnen. Diese Vorstellungen stehen in einem bestimmten Wechselverhältnis zueinander. Im Rahmen der Verantwortungsteilung begreift sich der Staat als Gewährleister des öffentlichen Wohls, leitet daraus eine Gesamtverantwortung für die Steuerung der Kooperationspartner und eine Letztverantwortung für das Zustandekommen des öffentlichen Wohls ab, erwartet von der erwerbsfähigen Bevölkerung im allgemeinen und von den Leistungsberechtigten im besonderen als Beitrag zur Verantwortungsteilung, dass sie eine auskömmliche Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt anstreben und übernehmen und sorgt dafür, dass die für die gemeinsame Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und die Erbringung öffentlicher Leistungen benötigten infrastrukturellen Voraussetzungen geschaffen und die erforderlichen fiskal-, wirtschaftsund sozialpolitischen Rahmensetzungen zur Entfaltung der Marktkräfte in die Wege geleitet werden.

Eine zentrale Aufgabe des aktivierenden Sozialstaates in Bezug zu seiner Funktion und seinen Zielen besteht darin, die auf weitgehende Selbstorganisation seiner Kooperationspartner hin angelegte Zusammenarbeit zu gewährleisten. Hierzu sollen die Adressaten, gesellschaftliche Akteure wie Leistungsberechtigte, ermuntert und, sofern erforderlich, dazu angehalten werden ihr bürgerschaftliches Engagement über die gesamte Wertschöpfungskette gemeinwohlorientiert zur Geltung zu bringen. Das den Leistungsberechtigten zugeschriebene bürgerschaftliche Engagement zielt im Kern auf die Wiederherstellung ihrer vollen Eigenverantwortung für die Daseinsvorsorge. Zur Sicherstellung der Wahrnehmung des bürgerschaftlichen Engagements steuert der Sozialstaat die Zusammenarbeit mit den Adressaten auf der Grundlage der Prinzipien ‚Fördern und Fordern' und ‚keine Leistung ohne Gegenleistung'.

Während im absichernden Sozialstaat die Unterstützung der Leistungsberechtigten auf der Erfüllung von Ansprüchen, insbesondere in Form finanzieller Zuwendungen, ausgerichtet ist, liegt der Fokus der Unterstützung im aktivierenden Sozialstaat auf der Wahrnehmung der Eigenverantwortung der Leistungsberechtigten für die Daseinsvorsorge. Vordringliches Ziel der sozialstaatlichen Unterstützung ist es nun, die Selbsthilfekräfte und die Fähigkeit zur Selbstorganisation der Leistungsberechtigten für die Entwicklung marktkonformer individueller Beschäftigungschancen zu nutzen. Von den Leistungsberechtigten, wie insbesondere Arbeitslosen und Bedürftigen, wird erwartet, dass sie ihre Ressourcen für den Weg in eine möglichst existenzsichernde Erwerbstätigkeit einsetzen. Dabei wird vorausgesetzt, dass sie diesen Weg eigeninitiativ gehen und, soweit erforderlich, ihre Selbsthilfekräfte und ihre Selbstorganisation bedarfsadäquat weiterentwickeln.

Die Unterstützung im aktivierenden Sozialstaat orientiert sich am Leitbild „Eigenaktivitäten auslösen – Sicherheit einlösen“. Jedem Leistungsberechtigten soll ein am individuellen Bedarf ausgerichtetes Unterstützungsangebot unterbreitet werden, in dem „Wahlund Handlungsoptionen dargestellt [sind], die ihn befähigen, Entscheidungen über seine weiteren Beschäftigungsperspektiven zu treffen. Die angebotenen Dienstleistungen setzen ihn in die Lage, selbst im Sinne des Integrationszieles tätig zu werden [...]. Im Gegenzug hilft ihm das integrierte System der Beratung, Betreuung und materiellen Absicherung, diese Handlungsoptionen wahrzunehmen, auftretende Probleme und Belastungen zu bewältigen und individuelle Lösungen der Integration in Beschäftigung zu finden“. Aus der skizzierten Unterstützungsvorstellung wird deutlich, dass die personenbezogenen und materiellen Leistungen im aktivierenden Sozialstaat allein auf die Ermöglichung der Teilnahme der Leistungsberechtigten am Arbeitsmarkt zielen. Zudem wird unterstellt, dass sämtliche Leistungsberechtigten zur Entwicklung ihrer Markttauglichkeit eines Unterstützungsimpulses bedürfen. Dies kann sowohl ihre innere Bereitschaft, eine existenzsichernde Beschäftigung ausüben zu wollen, sie zu suchen und zu ergreifen, als auch ihre äußere Bereitschaft einschließen, geeignete Schritte zur Erreichung dieser Markttauglichkeit zu gehen und sich auf dem Arbeitsmarkt anzubieten. Zur Sicherstellung des Integrationszieles sind die Leistungsberechtigten dazu verpflichtet, ihre Mitwirkung und Mitarbeit an den sozialstaatlichen Vorgaben auszurichten. Der Sozialstaat überwacht die Umsetzung ihrer Gegenleistung und koppelt die Erbringung öffentlicher Leistungen, wie Fördermaßnahmen und materielle Absicherung, an die Leistungsbereitschaft ihrer Empfänger.

Sowohl im Bericht der Hartz-Kommission als auch in der Gesetzesbegründung zum ‚Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt' wird deutlich, dass zumindest für bestimmte Gruppen von Arbeitslosen die personenbezogene Unterstützung auf der Grundlage der Methode ‚Case Mangement' – dort als ‚Fallmanagement' bezeichnet – durchgeführt werden soll. Während der Kommissionsbericht eher implizit, in Bezug zur Funktion und den Aufgaben des Fallmanagers, das Fallmanagement thematisiert, wird es in der Gesetzesbegründung auch explizit in den Blick genommen und als „Kernelement der neuen Leistung“ des Sozialstaates für arbeitsfähige Bedürftige begriffen. Darüber hinaus wird die Arbeitsweise des Fallmanagements skizziert. In einem ersten Schritt soll „die konkrete Bedarfslage des Betroffenen erhoben“ und „darauf aufbauend [...] ein individuelles Angebot unter aktiver Mitarbeit des Hilfebedürftigen geplant und gesteuert“ werden, wobei „der Grundsatz ‚Fördern und Fordern' eine zentrale Rolle“ spielen soll. Obwohl das SGB II nicht mehr ausdrücklich auf das Fallmanagement Bezug nimmt, legen, so Claus Reis und seine Mitarbeiter, sowohl die Gesetzesbegründung zum SGB II als auch die „großen Parallelen“ zu Funktion und Aufgaben des ‚persönlichen Ansprechpartners' im SGB II nahe, dass die personenbezogene Unterstützung der arbeitsfähigen Bedürftigen auch im SGB II als ‚Fallmanagement' zu erbringen sei.

Im Kommissionsbericht, in der Gesetzesbegründung und auch im SGB II wird offen gelassen, wie das Fallmanagement in den Arbeitsagenturen und bei den Grund-sicherungsträgern fachlich und organisatorisch auszugestalten und personell, vor allem hinsichtlich der Qualifikationen und Kompetenzen der Fallmanager, auszustatten ist. Vor dem Hintergrund untergesetzlicher Vorgaben und Empfehlungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der Bundesagentur für Arbeit und der sich daraus für Arbeitsagenturen und Arbeitsgemeinschaften einerseits und Optionskommunen andererseits ergebenden unterschiedlichen Bindewirkungen, sowie auf Grund lokaler Pfadabhängigkeiten und Traditionen an den Standorten der Arbeitsagenturen und Grundsicherungsträger ist zu erwarten, dass es zu einer variantenreichen fachlichen und organisatorischen Ausgestaltung des Fallmanagements und der Realität seiner Leistungserbringung kommt.

 
< Zurück   INHALT   Weiter >