Die sozialpolitische Ausrichtung der Aktivierungskonzepte von BSHG und SGB II
Die in Abschnitt 2.2 vorgenommene Charakterisierung des den Aktivierungskonzepten von BSHG und SGB II zu Grunde liegenden Verständnisses von Aktivierung verweist auf bestimmte Grundvorstellungen von Wohlfahrt, auf die im deutschen Fürsorgesystem die Erbringung der aktivierenden Unterstützung für arbeitsfähige Bedürftige ausgerichtet werden soll. Ziel des Abschnittes ist es, diese Grundvorstellungen von Wohlfahrt zu identifizieren und die darauf bezogene Ausrichtung der Wohlfahrtsproduktion zu charakterisieren. Hierzu wird auf Gösta Esping-Andersens Typologie der Wohlfahrtsregime zurückgegriffen. Sie wird zunächst beschrieben (Abschnitt 2.3.1) und dann zur Bestimmung der sozialpolitischen Ausrichtung der Aktivierungsvorstellung für arbeitsfähige Bedürftige zunächst im BSHG und danach für das SGB II eingesetzt (Abschnitt 2.3.2).
2.3.1 Esping-Andersens Typologie der Wohlfahrtsregime
Die Wohlfahrtsstaatsforschung hat verschiedene Klassifikationssysteme erarbeitet, um die für einzelne Länder jeweils spezifische Vorstellung von Wohlfahrt und ihrer Erbringung beschreiben und miteinander vergleichen zu können. Dabei haben die von Gösta Esping-Andersen entwickelten Typen die wissenschaftliche Diskussion in besonderer Weise befruchtet.
Mit Hilfe der Typologie Esping-Andersens kann die Wohlfahrtsproduktion, verstanden als „Gesamtheit der Nutzen für Dritte stiftenden Transaktionen“, für einzelne Länder sozialpolitisch bestimmt werden. Als Folge des Zusammenspiels „politischideologischer Leitvorstellungen der kollektiven Akteure“, wie insbesondere Regierungen, Parteien und Verbände, „und ihrem jeweiligen machtpolitischen Gewicht“, so die „Generalhypothese“ Esping-Andersens, entstehen zwischen staatlichen, marktlichen, verbandlichen und privaten Akteuren länderspezifische Konfigurationen der Wohlfahrtsproduktion. Diese Konfigurationen bezeichnet Esping-Andersen als Wohlfahrtsregime. Um ihre empirische Gestalt, die sich in Wohlfahrtsinstitutionen vor allem auf der Ebene des Rechts und der Organisation abbildet, sozialpolitisch klassifizieren zu können, konstruiert er drei Idealtypen von Wohlfahrtsregimen. Hierzu „[nimmt] er auf die ordnungspolitischen Grundvorstellungen und gesellschaftspolitischen Leitbilder derjenigen politischen Traditionen, die in der Geschichte der Entstehung und Entwicklung der Wohlfahrtsstaaten in kapitalistischen Demokratien beteiligt waren und realhistorisch wirksam wurden [Bezug]“ . Zur Konstruktion seiner Idealtypen zieht Esping-Andersen die beiden Schlüsseldimensionen „Ausmaß der Dekommodifizierung“ [Hinweis B.H.: Hervorhebung im Original], verstanden als Grad der Unabhängigkeit individueller Existenzsicherung vom Marktsystem, und „Art der Stratifizierung“ [Hinweis B.H.: Hervorhebung im Original], verstanden als die „durch soziale Sicherungssysteme bewirkten sozialen Strukturierung von Lebenslagen und Solidaritätsbeziehungen“ in Gesellschaften, heran. Auf dieser Grundlage unterschei-det er drei Typen von Wohlfahrtsregimen: das liberale, das konservative und das sozialdemokratische Wohlfahrtsregime.
Das liberale Wohlfahrtsregime ist dadurch gekennzeichnet, dass die staatliche Beteiligung an der Wohlfahrtsproduktion gering, die individuelle Beteiligung dagegen hoch ausfällt und allgemeine Lebensrisiken soweit wie möglich über Marktlösungen abgesichert werden. Die Unterstützung des Staates ist auf jene Bevölkerungskreise beschränkt, die ihre Subsistenz nicht aus eigenen Kräften sichern können, fokussiert auf Bedürftigkeitsprüfungen und ist an Leistungen orientiert, die an Gegenleistungen gekoppelt, in Umfang und Dauer eng begrenzt und gering in ihrer Höhe sind. Hinsichtlich der Rolle des Staates für den Arbeitsmarkt zeigt sich, dass er die Entfaltung der Marktkräfte fördert und auf regulierende Eingriffe weitgehend verzichtet. Dies beinhaltet auch die Erschließung und Entwicklung arbeitsmarktnaher Produktivitätspotentiale der Arbeitskräfte. Insgesamt ist im liberalen Wohlfahrtsregime die staatliche Unterstützung „residual“ geprägt, das Ausmaß der Dekommodifizierung schwach entwickelt, die Solidarität individualistisch ausgerichtet und die Absicherung allgemeiner Lebensrisiken vom Markt dominiert. Für Esping-Andersen stellen die USA ein Modell dieses Regimetyps dar.
Im Unterschied zum liberalen Wohlfahrtsregime ist das sozialdemokratische Wohlfahrtsregime vor allem dadurch gekennzeichnet, dass es universalistisch ausgerichtet ist und der Staat die Bearbeitung sozialer Risiken dominiert. Die Wohlfahrtsproduktion ist auf die gesamte Bevölkerung bezogen. Dabei werden ihre allgemeinen Lebensrisiken vollständig und darüber hinausgehende soziale Risiken tendenziell umfassend berücksichtigt. Die Unterstützung gründet sich auf gleiche Anrechte und ist hinsichtlich ihres Umfangs und ihrer Höhe großzügig bemessen. Sie umfasst materielle Transfers und soziale Dienstleistungen. Die Erbringung von Wohlfahrtsleistungen ist weitgehend in der Hand des Staates konzentriert, der zugleich den Beitrag des Marktes und der Familie zu minimieren trachtet. Ein weiteres wichtiges Ziel der Wohlfahrtsproduktion besteht in der Herstellung von Vollbeschäftigung. Hierzu setzt der Staat neben regulierende Eingriffe in den Arbeitsmarkt, vor allem auf die Schaf-fung öffentlicher Beschäftigung und auf eine umfassende Ermöglichung von Fortund Weiterbildung. Er strebt eine Maximierung des Produktivitätspotentials seiner Bevölkerung und ihres Zugangs zu Beschäftigung an, indem er dafür Sorge trägt, dass jeder Arbeitsfähige über die notwendigen Ressourcen und die erforderliche Motivation für eine Arbeitsaufnahme verfügt und Arbeit im erforderlichen Umfang, soweit wie möglich auch in erforderlicher Qualität, vorhanden ist. Insgesamt ist das sozialdemokratische Wohlfahrtsregime dadurch charakterisiert, dass die Wohlfahrtsproduktion auf die gesamte Bevölkerung, tendenziell auch auf alle sozialen Risiken, bezogen ist, sich auf gleiche, staatsbürgerlich legitimierte, Anrechte stützt, Leistungen generös ausstattet und sie, unter Marginalisierung des privaten Sektors, weitgehend durch den Staat erbringt. Dies bedeutet, dass im Rahmen des sozialdemokratischen Regimetyps das Ausmaß der Dekommodifizierung stark ausgeprägt, die Solidarität universalistisch orientiert und die Gesellschaftsordnung egalitär ausgerichtet ist. Für EspingAndersen stellt Schweden ein Modell dieses Regimetyps dar.
In der Typologie Esping-Andersens ist der dritte Typ von Wohlfahrtsregimen, das konservative Wohlfahrtsregime, zwischen dem liberalen und dem sozialdemokratischen Typ angesiedelt. Die Wohlfahrtsproduktion im konservativen Wohlfahrtsregime ist durch eine Mischung aus „Familialismus“ und einer starken fürsorgenden Rolle des Staates gekennzeichnet. Die Familie „[...] als Kerninstitution gesellschaftlicher Solidarität und als Sicherungsund Versorgungsinstitution für ihre Mitglieder“ ist von zentraler Bedeutung. Korporatistische Statusunterschiede, wie etwa zwischen Angestellten, Arbeitern und Beamten, durchdringen die zur Absicherung gegen allgemeine Lebensrisiken aufgebauten berufsständisch gegliederten Zweige der sozialen Sicherung. Sie sind vom Staat als Zwangsversicherungen auf der Grundlage des ‚Normalarbeitsverhältnisses' um den in der Regel männlichen vollzeiterwerbstätigen Haushaltsvorstand geschaffen worden (Etatismus). Im Rahmen dieses Sozialversicherungssystems erwerben Personen, mittelbar auch ihre nicht oder nur geringfügig erwerbstätigen Familienangehörigen, über ihre Beiträge Leistungsansprüche. Dabei hängt die Höhe materieller Leistungen, etwa der Arbeitslosenunterstützung oder der Altersrente, u.a. von der Höhe des Erwerbseinkommens und der Versicherungsdauer der Erwerbstätigen, aber auch von ihrem Familienstand ab. Personen ohne existenzsichernde oder fehlende Ansprüche aus dem Sozialversicherungssystem haben nach Prüfung ihrer Bedürftigkeit Anspruch auf Grundsicherungsleistungen aus der vom Staat finanzierten Sozialhilfe. Neben dem Ausgleich von Familienversagen sieht es der Staat als seine vordringlichste Aufgabe an, die soziale Absicherung der arbeitenden Bevölkerung durch „Eingriffe [...] in den Wirtschaftsablauf bei gleichzeitiger Anerkennung der Prinzipien des marktwirtschaftlich-kapitalistischen Wirtschaftssystems“ zu gewährleisten. Im Mittelpunkt steht dabei die Sicherung von Arbeitsplätzen und Einkommen der Erwerbstätigen; arbeitsmarktbezogene Dienstleistungen, die etwa auf die Entwicklung der Ressourcen der Arbeitnehmer gerichtet sind oder auf die Ermöglichung eines verstärkten Zugangs von Frauen in den Arbeitsmarkt zielen, sind dagegen von deutlich geringerem Gewicht. Die Erbringung sozialer Leistungen für die Bevölkerung ist weitgehend als Mix aus familiärer, korporatistischer und staatlicher Tätigkeit beschreibbar. Insgesamt ist für das konservative Wohlfahrtsregime kennzeichnend, dass der Grad der Dekommodifizierung für Familienernährer hoch ist, Solidarität sich auf Verwandtschaft, Korporationen und den Staat verteilt, die bestehende geschichtete Gesellschaftsordnung stabilisiert wird und soziale Leistungen vorwiegend von gesellschaftlichen und staatlichen Akteuren erbracht werden. Für Esping-Andersen stellt Deutschland ein Modell dieses Regimetyps dar.
Die nach Kohl auf einer „Kombination aus machtund klassentheoretischem und institutionalistischem Ansatz“ aufruhende Typologie Esping-Andersens kann in verschiedener Weise für die empirische Wohlfahrtsstaatsforschung genutzt werden. Mit Hilfe der Regimetypen kann etwa eingeschätzt werden, inwieweit sich historisch realisierte Konfigurationen der Wohlfahrtsproduktion einzelner Länder einem bestimmten Regimetyp, und damit einer bestimmten sozialpolitischen Ausrichtung, annähern, zudem festgestellt werden, ob und in welcher Richtung sich solche Konfigurationen wandeln, sowie prognostiziert werden, ob und wie sie sich in der näheren Zukunft än-dern. Nach Esping-Andersen können die Regimetypen auch dafür eingesetzt werden, Teile der Konfiguration der Wohlfahrtsproduktion einzelner Länder nach ihrer sozialpolitischen Ausrichtung zu untersuchen. Im Folgenden soll Letzteres für die Aktivierungskonzepte von BSHG und SGB II versucht werden.
2.3.2 Die Bestimmung der sozialpolitischen Ausrichtung der Aktivierungskonzepte
Nachdem die Wohlfahrtsstaatstypologie Esping-Andersens erläutert worden ist, soll auf dieser Grundlage in diesem Abschnitt die sozialpolitische Einordnung der Aktivierungskonzepte von BSHG und SGB II vorgenommen werden. Hierzu wird in einem ersten Schritt die Typologie für die Zwecke der Analyse operationalisiert (Abschnitt 2.3.2.1), in einem zweiten Schritt die sozialpolitische Ausrichtung der Aktivierungskonzepte von BSHG und SGB II bestimmt (Abschnitte 2.3.2.2 und 2.3.2.3) und in einem dritten Schritt die sozialpolitische Pfadabhängigkeit beider Konzepte verglichen (Abschnitt 2.3.2.4).
2.3.2.1 Das Verfahren der Bestimmung
Kritiker der Typologie Esping-Andersens haben schon früh darauf hingewiesen, dass aufgrund der Konzentration auf die Geldleistungssysteme und den Arbeitsmarkt die personenbezogenen Dienstleistungen bei der Bildung der Regimetypen vernachlässigt worden sind. Erst vor wenigen Jahren hat die Sozialpolitikforschung damit begonnen, die Regimetypen auch im Zusammenhang mit personenbezogenen Dienstleistungen zu betrachten. Dabei haben sich einzelne Beiträge auch mit der Anwendung der Typen auf die Aktivierung arbeitsfähiger Bedürftiger beschäftigt. So hat etwa Torfing in seiner Untersuchung zu Dänemark verdeutlicht, dass Workfare-Ansätze auf den jeweiligen Wohlfahrtsregimetyp eines Landes bezogen sind und Walther hat einen Vorschlag zur Wahlverwandtschaft von Regimetypen und Aktivierungsansätzen un-terbreitet. Diese Vorarbeiten weisen die Richtung für das im Folgenden zu entwikkelnde Verfahren zur Bestimmung der sozialpolitischen Ausrichtung von Aktivierung im Rahmen des BSHG und des SGB II.
In Anlehnung an Esping-Andersen ist es möglich zu seiner Typologie der Wohlfahrtsregime wahlverwandte Aktivierungsmodelle zu entwickeln. Anhand dieser Modelle kann eingeschätzt werden, auf welchen Regimetyp bzw. auf welches Mischungsverhältnis aus Regimetypen ein Aktivierungskonzept, wie z.B. das des BSHG oder des SGB II, bezogen ist. Und dies erlaubt es, die sich darin ausdrückende sozialpolitische Ausrichtung der Wohlfahrtsproduktion zu charakterisieren.
Die Konstruktion der zu den Regimetypen wahlverwandten Aktivierungsmodelle erfolgt in Analogie zu Esping-Andersens Bildung der Wohlfahrtsregime. Auf der Grundlage der Dimensionen ‚Dekommodifizierung', ‚Stratifizierung' und ‚Akteure der Wohlfahrtserbringung' werden Variablen gebildet und dazu Indikatoren entwickelt. In Bezug auf die aktivierende Unterstützung des Wohlfahrtsstaates zielt die Variable ‚Grad der Dekommodifizierung' (Variable 1) auf die Veränderung der Einstellung, des Verhaltens und des Handelns seiner Adressaten in Richtung auf die Herstellung einer möglichst bedarfsunabhängigen Lebensführung. In diesem Sinne kann Variable 1 durch drei Indikatoren beschrieben werden: der Selbstverpflichtung des Wohlfahrtsstaates zu aktivierender Unterstützung (Indikator 1: Anrecht der Adressaten auf Aktivierung) und ihrer Gestaltung, einerseits durch die den Adressaten auferlegten Pflichten und Sanktionen (Indikator 2: Kontrolle der Aktivierung) und andererseits durch die Breite und Differenziertheit des Unterstützungsangebotes (Indikator 3: Leistungsniveau der Aktivierung). In Bezug auf die aktivierende Unterstützung des Wohlfahrtsstaates zielt die Variable ‚stratifizierende Wirkung' (Variable 2) auf die Folgen einer solchen Unterstützung für die Strukturierung von Lebenslagen und Solidaritätsbeziehungen der Gesellschaftsmitglieder. In diesem Sinne kann Variable 2 durch zwei Indikatoren beschrieben werden: dem Zugang der Adressaten zu einer an ihrem individuellen Bedarf ausgerichteten Unterstützung (Indikator 4: Bedarfsgerechter Zugang zur Aktivierung) und den dafür erforderlichen Ressourcen (Indikator 5: Bedarfsgerechtes Leistungsniveau der Aktivierung). In Bezug auf die aktivierende Unterstützung des Wohlfahrtsstaates zielt die Variable ‚Rolle der Akteure' (Variable 3) auf den Stellenwert zentraler gesellschaftlicher Akteure für die Erbringung dieser Unterstützung. In Anlehnung an Esping-Andersen wird Variable 3 durch drei Indikatoren beschrieben: der Erbringung von aktivierender Unterstützung über den Markt (Indikator 6: Markt), über die Familie (Indikator 7: Familie) oder über den Staat (Indikator 8: Staat). Die Ausprägung der einzelnen Variablen und der sie beschreibenden Indikatoren orientiert sich weitgehend an den Vorgaben Esping-Andersens.
Die Anwendung dieses Verfahrens führt zur Konstruktion folgender Aktivierungsmodelle:
Tabelle 1: Wahlverwandte Aktivierungsmodelle zu den Regimetypen Gœsta Esping-Andersens
Variable Indikator |
Aktivierungsmodell |
||
liberal |
konservativ |
sozialdemokratisch |
|
Grad der Dekommodifizierung - Anrecht auf Aktivierung - Kontrolle der Aktivierung (Pflichten und Sanktionen) - Leistungsniveau der Aktivierung (Breite des Angebots) |
minimal nein hoch gering |
hoch (für Ernährer) ja mittel mittel |
maximal ja gering hoch |
Stratifizierende Wirkung - Bedarfsgerechter Zugang zur Aktivierung - Bedarfsgerechtes Leistungsniveau der Aktivierung |
ungleichheitsbetonend nein nein |
statuserhaltend ja nein |
egalitär ja ja |
Rolle der Akteure - Markt - Familie - Staat |
zentral marginal marginal |
marginal zentral subsidiär |
marginal marginal zentral |
Art der Aktivierung |
konditional |
paternalistisch |
emanzipatorisch |
Die zu den Wohlfahrtsregimen Esping-Andersens wahlverwandten Aktivierungsmodelle unterscheiden sich in ihrem Grad der Dekommodifizierung, in ihrer stratifizierenden Wirkung und in ihrem Stellenwert der Akteure für die Wohlfahrtsprodukti- on. Auf dieser Grundlage kann das jeweils Spezifische dieser Modelle in den Blick genommen und charakterisiert werden: Während im Rahmen des liberalen Aktivierungsmodells die personenbezogene Unterstützung auf das Interesse des Staates zielt, seine Ratsuchenden, letztlich unabhängig von ihrem individuellen Bedarf, dazu zu drängen, eine bestimmte Unterstützung anzunehmen (konditionale Aktivierung) und sich der Staat im Rahmen des konservativen Aktivierungsmodells als Letztentscheider des individuellen Unterstützungsbedarfs seiner Ratsuchenden begreift (paternalistische Aktivierung), ist im Rahmen des sozialdemokratischen Aktivierungsmodells personenbezogene Unterstützung auf den von den Ratsuchenden selbst geäußerten Bedarf bezogen (emanzipatorische Aktivierung). Diese drei Aktivierungsmodelle stellen den Maßstab zur Bestimmung der sozialpolitischen Ausrichtung von Aktivierung im Wohlfahrtsarrangement einzelner Länder dar.
2.3.2.2 Die sozialpolitische Ausrichtung des Aktivierungskonzeptes im BSHG
Wird das im letzten Abschnitt entwickelte Verfahren zur Bestimmung der sozialpolitischen Ausrichtung von Aktivierung auf das Aktivierungskonzept des BSHG angewandt, so zeigt sich folgendes Ergebnis:
Tabelle 2: Die sozialpolitische Ausrichtung der Aktivierung im BSHG in Anlehnung an Gœsta Esping-Andersens Wohlfahrtsstaatstypologie
Variable Indikator |
Ausrichtung der Aktivierung im BSHG nach Typus des Wohlfahrtsarrangements |
||
liberal |
konservativ |
sozialdemokratisch |
|
Grad der Dekommodifi- |
- |
mittel |
- |
zierung |
|||
Anrecht auf |
- |
bedingt ja |
- |
Aktivierung |
|||
Kontrolle der Aktivierung (Pflichten und Sanktionen) |
- |
mittel |
- |
Leistungsniveau |
|||
der Aktivierung |
gering |
- |
- |
(Breite des Angebots) |
|||
Stratifizierende Wirkung |
- |
statuserhaltend |
- |
Bedarfsgerechter Zu- |
|||
gang zur Aktivierung |
- |
ja |
- |
Bedarfsgerechtes Leistungsniveau |
- |
nein |
- |
der Aktivierung |
|||
Rolle der Akteure |
- |
marginal |
- |
Markt |
|||
Familie |
- |
zentral |
- |
Staat |
- |
subsidiär |
- |
Art der Aktivierung |
- |
paternalistisch |
- |
Der deutsche Sozialstaat, wie er sich im BSHG spiegelt, sagte den Bedürftigen zu, sie dabei zu unterstützen, ihr Leben, soweit es ihnen möglich sei, wieder in die eigene Hand nehmen zu können (Anrecht auf Aktivierung). Dieses aus dem Gebot der Menschenwürde abgeleitete Versprechen drückte sich im Rahmen des BSHG im Konzept der persönlichen Hilfe aus. Ihre Erbringung orientierte sich an der Lebenslage der Bedürftigen und des sich hieraus ergebenden individuellen Unterstützungsbedarfs. Allerdings hatten die seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts erfolgten Novellierungen des BSHG zur Priorisierung einer Unterstützung geführt, die auf die Wiedererlangung einer eigenständigen Lebensführung durch Aufnahme einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit zielte. Somit war das Anrecht auf Aktivierung im BSHG zuletzt erwerbsbezogen betont und auf die Überwindung der Bedürftigkeit ausgerichtet. Die Praxis in Sozialhilfeverwaltungen zeigte zudem eine organisationsspezifische Handhabung dieses Anrechts. Insgesamt gesehen legt die Zusammenschau der Einschätzungen ein bedingtes Anrecht der Bedürftigen auf aktivierende Unterstützung im BSHG nahe.
Die Art und Weise der fachlichen Ausgestaltung von aktivierender Unterstützung ließ der Gesetzgeber weitgehend offen. Er verpflichtete die Bedürftigen dazu, sich über ihre Möglichkeiten zur Aktivierung beraten zu lassen und konnte ihr Zuwiderhandeln im Rahmen eines vorgegebenen Verfahrens sanktionieren. Obwohl die Bedürftigen letztlich nicht gezwungen werden konnten sich aktivieren zu lassen und an Maßnahmen der Aktivierung teilzunehmen, konnte ihre Durchführung einen mehr oder minder ausgeprägt verpflichtenden Charakter annehmen. Dies traf vor allem dann zu, wenn die Aktivierung im Zusammenhang mit dem Einsatz der Arbeitskraft der Bedürftigen stand. Hierbei konnten schwierige Abgrenzungsprobleme zwischen der Hilfeverpflichtung des Staates einerseits und seiner Selbsthilfeerwartung gegenüber den Bedürftigen andererseits auftreten. In der Praxis betonten Sozialhilfeverwaltungen die Verpflichtung zur Aktivierung. Die Anwendung von Sanktionen, die der Gesetzgeber als letztes erzieherisches Mittel zur Veränderung des Verhaltens der Bedürftigen begriff, konnte zu einer befristeten Kürzung, in Einzelfällen sogar bis zur vorübergehend vollständigen Einstellung der materiellen Grundversorgung führen. Das Verhängen solcher Sanktionen wollte der Gesetzgeber jedoch nicht systematisch auf den Unterstützungsprozess bezogen wissen. In der Praxis zeigte sich allerdings, dass Sozialhilfeverwaltungen in jeder Phase der aktivierenden Unterstützung Sanktionen aussprachen. Insgesamt gesehen kann im Rahmen des BSHG von einer tendenziell mittleren Ausprägung der sozialstaatlichen Kontrolle der Aktivierung gesprochen werden.
Die Ausgestaltung des Leistungsniveaus der Aktivierung ist eher als gering einzustufen. Obwohl die Sozialhilfeträger im Rahmen der ‚Hilfe zur Arbeit' zielgruppenspezifische Unterstützungsangebote auflegen konnten, waren diese, im Unterschied etwa zu jenen des SGB III, ermessensabhängig und nur auf wenige beschränkt. Ob überhaupt und wenn ja mit welchem Schwerpunkt und in welchem Ausmaß Maßnahmen durchgeführt wurden, entschieden die einzelnen Sozialhilfeträger selbst. Zudem hatten die arbeitsfähigen Bedürftigen wenig Einfluss auf die Gestaltung des Aktivierungsprozesses. Er beschränkte sich auf einzelne Sollvorschriften bei der Erbringung von Unterstützungsleistungen.
Werden die Einschätzungen zum Anrecht auf Aktivierung, zur sozialstaatlichen Kontrolle und zum Leistungsniveau der Aktivierung zusammengesehen, so kann von einem tendenziell mittleren Grad der Dekommodifizierung des Aktivierungskonzeptes im BSHG gesprochen werden.
Im Rahmen des BSHG sicherte der Gesetzgeber jedem Bedürftigen eine an seinem individuellen Bedarf orientierte personenbezogene Unterstützung zu (bedarfsgerechter Zugang zur Aktivierung). Dieses aus dem Individualisierungsprinzip ableitbare sozialstaatliche Versprechen trat jedoch in den 1980er und 1990er Jahren des letzten Jahrhunderts in der Praxis vieler Sozialhilfeverwaltungen in den Hintergrund und wurde von ihnen seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre vor allem als erwerbsbezogene Unterstützung wiederentdeckt. Damit verbunden war eine auf die Verselbständigung der Bedürftigen in Erwerbsarbeit zielende Ausgestaltung des Unterstützungsangebots. Dabei favorisierte das BSHG Maßnahmen, die arbeitsfähige Bedürftige befähigen sollten, eine existenzsichernde Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt zu erreichen. Dies verweist darauf, dass der Gesetzgeber zumindest implizit eine ungleiche Ausgestaltung des Leistungsniveaus der Aktivierung bejahte.
Die Zusammenschau der Ausprägungen der Indikatoren zur stratifizierenden Wirkung des Aktivierungskonzeptes im BSHG lässt erkennen, dass die ungleiche Verteilung der Chancen auf eine bedarfsgerechte Ausgestaltung der individuellen Unterstützung die Aufrechterhaltung des sozialen Status der einzelnen Bedürftigen begünstigte (statuserhaltend).
Die subsidiäre Ausrichtung des BSHG drückte sich auch in der Erbringung der personenbezogenen Unterstützung aus. Waren Familien nicht in der Lage, ihre bedürftigen Angehörigen zu unterstützen (zentrale Rolle der Familie), übernahm stellvertretend für sie der Staat diese Aufgabe (subsidiäre Rolle des Staates). Vor diesem Hintergrund erbrachte er primär in Zusammenarbeit mit den Trägern der freien Wohlfahrtspflege, die im deutschen Wohlfahrtsarrangement eine hervorgehobene Stellung einnahmen, personenbezogene Dienstleistungen als persönliche Hilfe. Demgegenüber war die Rolle des Marktes, trotz des Einzugs des effizienzbetonten Neuen Steuerungsmodells in die Sozialhilfeverwaltungen, als marginal einzustufen.
Werden die Ausprägungen der hier betrachteten Indikatoren mit denen der zu den Typen wohlfahrtsstaatlicher Arrangements wahlverwandten Aktivierungsmodelle verglichen, so ist das Aktivierungskonzept des BSHG als ein konservatives Aktivierungsmodell zu charakterisieren. Dabei ist zu erkennen, dass die im Rahmen dieses Konzepts zu erbringende Unterstützung paternalistisch orientiert ist: So versteht sich der Staat als Ausfallbürge der Familie und übernimmt stellvertretend für sie eine fürsorgende Rolle für ihre Bedürftigen, legt den Schwerpunkt der Aktivierungsziele fest, behält sich eine Letztverantwortung des Einsatzes von Mitteln der Aktivierung vor und kann auf das Verhalten der Bedürftigen, wenn auch nur begrenzt, verpflichtend einwirken. Darüber hinaus zeigte sich in der Praxis, dass die aktivierende Unterstützung konditionale Züge annehmen kann. Insgesamt betrachtet begriff sichder fürsorgende Staat schwerpunktmäßig als Impulsgeber und strebte in erzieherischer Absicht an, die Bedürftigen primär dazu zu motivieren, bei Bedarf sie aber auch zu drängen, an Maßnahmen der Aktivierung teilzunehmen.
2.3.2.3 Die sozialpolitische Ausrichtung des Aktivierungskonzeptes im SGB II
Wird das in Abschnitt 2.3.2.1 entwickelte Verfahren zur Bestimmung der sozialpolitischen Ausrichtung von Aktivierung auf das Aktivierungskonzept des SGB II angewandt, so zeigt sich folgendes Ergebnis:
Tabelle 3: Die sozialpolitische Ausrichtung der Aktivierung im SGB II in Anlehnung an Gœsta Esping-Andersens Wohlfahrtsstaatstypologie
Variable Indikator |
Ausrichtung der Aktivierung im SGB II nach Typus des Wohlfahrtsarrangements |
||
liberal |
konservativ |
sozialdemokratisch |
|
Grad der |
minimal |
- |
- |
Dekommodifizierung |
nein |
ja |
- |
Anrecht auf Aktivierung |
(für 25jährige und ältere) |
(für unter 25jährige) |
|
Kontrolle der Aktivierung |
hoch |
- |
- |
(Pflichten und Sanktionen) |
|||
Leistungsniveau der Aktivierung (Breite des |
- |
mittel |
- |
Angebots) |
|||
Stratifizierende Wirkung |
ungleichheitsbetonend |
- |
- |
Bedarfsgerechter Zugang |
nein |
- |
- |
zur Aktivierung |
|||
Bedarfsgerechtes |
nein |
- |
- |
Leistungsniveau der |
|||
Aktivierung |
|||
Rolle der Akteure |
- |
gering |
- |
Markt |
|||
Familie |
- |
zentral |
- |
Staat |
- |
subsidiär |
- |
Art der Aktivierung |
konditional-paternalistisch |
- |
Im Rahmen des SGB II können die Grundsicherungsträger für Arbeitsuchende bei jedem arbeitsfähigen Bedürftigen prüfen, ob ein Bedarf an aktivierender Unterstützung vorliegt. Ein Anrecht auf eine solche Unterstützung, die im Gesetz lediglich indirekt als eine Pflicht der Grundsicherungsträger formuliert ist, steht jedoch nur den unter 25jährigen arbeitsfähigen Bedürftigen, nicht aber den 25jährigen und älteren zu.
Sofern es die Träger der Grundsicherung für erforderlich ansehen, Bedürftige zu aktivieren, sind diese verpflichtet, sich aktivieren zu lassen. Hierzu haben sie eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen und sind auf dieser Grundlage gehalten, am Aktivierungsprozess mitzuwirken. Im Prozess, in dem die Eingliederungsvereinbarung ausgehandelt wird erhält der Fallmanager gegenüber seinen Ratsuchenden durch den Gesetzgeber eine starke Aushandlungsposition (gesetzlich legitimiertes Machtungleichgewicht). Damit unterliegt der gesamte Aktivierungsprozess einer systematischen Koppelung von Selbstverpflichtung der Ratsuchenden und Sanktionsandrohung der Fallmanager. Bestimmte Zuwiderhandlungen der Ratsuchenden können auf Grund eines zum Teil der richterlichen Nachprüfung unterliegenden Verfahrens mit Sanktionen belegt werden. Sie reichen von einer abgestuften befristeten Kürzung bis zum dauerhaften vollständigen Entzug der Grundsicherung. Legen Ratsuchende Widerspruch gegen die Verhängung von Sanktionen ein, so hat dies keine aufschiebende Wirkung. Im Widerspruchsverfahren tragen die Ratsuchenden die Beweislast. Insgesamt ist zu erkennen, dass die Grundsicherungsträger die Gestaltung der Aktivierung dominieren (hohe Kontrolle des Aktivierungsprozesses). Dies verweist auf mögliche Schwierigkeiten bei der Anwendung der Methode ‚Case Management', insbesondere wenn ihr Fachkonzept an einer weitgehenden Beteiligung und Selbstbestimmung der Ratsuchenden orientiert ist.
Die Aktivierungsangebote der Grundsicherungsträger erscheinen tendenziell breit angelegt. Sie umfassen große Teile der personenbezogenen Unterstützungsangebote des SGB III und die in den Bestimmungen der ‚Hilfe zur Arbeit' des BSHG angesprochenen Maßnahmen. Allerdings steht die Bewilligung solcher Angebote unter einem generellen Ermessensvorbehalt der Fallmanager. Es kann insgesamt von einem mittleren Leistungsniveau der Aktivierung gesprochen werden.
Die Zusammenschau der Einschätzungen zum Anrecht der Bedürftigen auf Aktivierung, zur sozialstaatlichen Kontrolle und zum Leistungsniveau der Aktivierung verweist auf einen tendenziell geringen Grad der Dekommodifizierung des Aktivierungskonzepts im SGB II.
Der Gesetzgeber garantiert unter 25jährigen, nicht aber über 24jährigen arbeitsfähigen Bedürftigen den Zugang zu aktivierender Unterstützung. Damit findet eine altersbezogene Stratifizierung des Zugangs statt, in dem nicht primär der individuelle Bedarf sondern die Zugehörigkeit zu einer Altersgruppe geprüft wird.
Das Leistungsniveau der angebotenen Maßnahmen ist für die unter 25jährigen nicht notwendigerweise bedarfsbezogen, da die Grundsicherungsträger lediglich dazu verpflichtet sind, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein Angebot aus drei gesetzlich vorgegebenen Leistungsoptionen zu machen. Durch ihre Reihenfolge im Gesetzestext – Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit – wird eine Priorisierung der Optionen nahegelegt. Bei den über 24jährigen arbeitsfähigen Bedürftigen steht für den Gesetzgeber die schnelle Vermittlung in Erwerbsarbeit im Vordergrund. Dadurch wird bei der Feststellung des Bedarfs an Unterstützung auf die Hürden fokussiert, die den Zugang der Ratsuchenden in Erwerbsarbeit behindern. Im Unterschied dazu würde eine ganzheitliche Betrachtung der Lebenssituation und eine nachhaltige Befähigung zur Teilnahme am Erwerbsleben eine bedarfsbezogene Analyse der Ausgangssituation der Ratsuchenden nahe legen.
Werden die Ausprägungen der Indikatoren zur stratifizierenden Wirkung des Aktivierungskonzepts im SGB II zusammen gesehen, so zeigt sich, dass weder der Zugang zur Aktivierung noch das Leistungsniveau der Aktivierung bedarfsgerecht orientiert sind (ungleichheitsbetonte Stratifizierung).
Sind arbeitsfähige Bedürftige weder selbst noch durch die Unterstützung ihrer Familien in der Lage, eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt zu erreichen (zentrale Rolle der Familie), kann der Sozialstaat aktivierende Unterstützung anbieten (subsidiäre Rolle des Staates). In diesem Fall erbringen die Grundsicherungsträger in Zusammenarbeit mit freien Trägern, insbesondere den im Gesetz genannten Trägern der freien Wohlfahrtspflege, und privatwirtschaftlichen Anbietern personenbezogene Dienstleistungen im Rahmen des Fallmanagements des SGB II. Obwohl der Gesetzgeber eine Vorrangstellung der gemeinnützigen freien Träger vermeidet, verweist doch die Nennung der freien Wohlfahrtspflege im Gesetzestext auf eine tendenziell nebengeordnete Bedeutung privatwirtschaftlicher Anbieter hin (niedrige Rolle).
Werden die Ausprägungen der hier betrachteten Indikatoren mit denen der zu den Typen wohlfahrtsstaatlicher Arrangements wahlverwandten Aktivierungsmodelle ver-glichen, so ist das Aktivierungskonzept des SGB II am liberalen Aktivierungsmodell orientiert. Es zeigen sich jedoch auch Bezüge zum konservativen Aktivierungsmodell, vor allem im Hinblick auf die Rolle der Akteure für die Erbringung aktivierender Unterstützung. Insgesamt ist zu erkennen, dass sich im Rahmen des SGB II der Sozialstaat nicht mehr als Ausfallbürge für arbeitsfähige Bedürftige versteht, sondern sie vor dem Hintergrund des Gebotes der eigenständigen Existenzsicherung zur Teilnahme auf dem ersten Arbeitsmarkt diszipliniert.
2.3.2.4 Die Verschiebung der sozialpolitischen Ausrichtung des Aktivierungskonzeptes für arbeitsfähige Bedürftige
Wohlfahrtsstaatliche Arrangements im Ganzen wie in seinen Teilen sind auf bestimmte Grundvorstellungen von Wohlfahrt und ihrer Erbringung bezogen. Vor dem Hintergrund der Wohlfahrtsstaatstypologie Gösta Esping-Andersens kann eingeschätzt werden, welcher Auffassung von Wohlfahrt und Wohlfahrtsproduktion sich das Aktivierungskonzept für arbeitsfähige Bedürftige im deutschen Fürsorgesystem annähern soll. Darüber hinaus kann damit geprüft werden, ob und ggf. in welcher Richtung sich die Erbringung der personenbezogenen Unterstützung im Übergang vom BSHG zum SGB II verändert.
Die Zusammenschau der Befunde zur wohlfahrtsstaatstypologischen Ausrichtung des Aktivierungskonzeptes für arbeitsfähige Bedürftige im BSHG und im SGB II lässt erkennen, dass sich der sozialstaatliche Bezugsrahmen für die Erbringung der personenbezogenen Unterstützung im Fürsorgesystem in Richtung des liberalen Aktivierungsmodells verschoben hat. Damit einher geht eine Veränderung im Verhältnis des Sozialstaates zu seinen arbeitsfähigen Bedürftigen. Der Sozialstaat begreift sich nun hauptsächlich als Erziehungsinstanz, die die arbeitsfähigen Bedürftigen nicht nur zum Gebrauch ihrer Eigenkräfte anhält, sondern deren Erzwingung sogar systematisch androht. Eine solche Auffassung von personenbezogener Unterstützung stützt kritische Einschätzungen von Fachvertretern aus der Sozialpolitikforschung.
Mittelbar verweisen die Befunde darauf, dass die auf die Aktivierung hin ausgerichtete Unterstützung arbeitsfähiger Bedürftiger den Spielraum für die Entwicklung eigener Lösungsansätze für das Erwerbsarbeitsproblem verengen und ihre Selbststeuerungsfähigkeit systematisch einschränken. Dies legt die Vermutung nahe, dass das Aktivierungskonzept des SGB II weit stärker als bereits im BSHG angelegt auf den Zwang zum selbstbestimmten Gebrauch der Eigenkräfte der arbeitsfähigen Bedürftigen ausgerichtet ist und gerade dadurch seiner Ermöglichung potentiell entgegensteht.
Die Anwendung eines Fachkonzeptes zur Durchführung der personenbezogenen Unterstützung arbeitsfähiger Bedürftiger ist, wie dieses Kapitel gezeigt hat, an die jeweils geltenden gesetzlichen Bestimmungen im deutschen Fürsorgesystems, ihrer darauf bezogenen Vorstellung der personenbezogenen Unterstützung und der damit einhergehenden wohlfahrtsstaatlichen Ausrichtung ihrer Erbringung gebunden. Vor diesem Hintergrund wird Im folgenden Kapitel das vom Gesetzgeber favorisierte Fachkonzept ‚Case Management' vorgestellt und charakterisiert.