Das Modellprojekt im sich formierenden aktivierenden Sozialstaat
Das Ministerium für Arbeit, Soziales, Qualifikation und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen initiierte im Jahre 2001 das Modellprojekt ‚Sozialagenturen – Hilfe aus einer Hand'. Es knüpfte an Initiativen und Modellprojekte des Ministeriums zur Entwicklung von Rahmenbedingungen und Instrumenten für eine effektive individuelle Sozialhilfeberatung, insbesondere für arbeitsfähige Bedürftige, an. An dem von Mitte 2001 bis Mitte 2004 laufenden Modellprojekt ‚Sozialagenturen – Hilfe aus einer Hand' nahmen elf Städte und Kreise aus Nordrhein-Westfalen teil. Im Rahmen einer landesweiten Ausschreibung wurden die kreisfreien Städte Bielefeld, Bochum, Bonn, Duisburg, Hagen, Mülheim (Ruhr) und Münster, sowie die Kreise Düren, Mettmann, Steinfurt und Wesel ausgewählt. Wissenschaftlich begleitet wurde das Projekt durch das Institut für Stadtund Regionalentwicklung an der Fachhochschule Frankfurt am Main, durch das Landesinstitut Sozialforschungsstelle Dortmund und durch das Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste an der Universität Siegen.
Das Modellprojekt ‚Sozialagenturen – Hilfe aus einer Hand' zielte zum einen darauf, die Grundlage für eine „fundierte Bewertung und systematische Weiterentwicklung der Sozialhilfe als Dienstleistung“ [Hinweis B.H.: Hervorhebung im Original] [zu schaffen; Hinweis: Einfügung B.H.] und strebte zum anderen an, die damit einhergehenden „Modernisierungsund Veränderungsprozesse in der Sozialhilfeverwaltung [zu; Hinweis: Einfügung B.H.] unterstütz[en]“. Von den Ergebnissen des Projektes versprach sich das Ministerium, die Sozialhilfepraxis in Nordrhein-Westfalen in Richtung einer dienstleistungsorientierten Sozialhilfe zu verstetigen und ein „spezifisches Landesprofil der Sozialhilfepolitik“ zu entwickeln. Es sollte sich am Leitbild des „aktiven und aktivierenden Sozialstaat[es] [...], [der; Hinweis: Einfügung B.H.] die Selbsthilfekräfte seiner Bürgerinnen und Bürger stärken muss“, orientieren. Im Rahmen dieses die persönliche Hilfe aufwertenden Sozialhilfeverständnisses des Ministeriums sollten „Personen in prekären Lebenssituationen die Chance bekommen, ihre Situation angemessen zu reflektieren, Auswege zu planen und eine intensive und individuelle Förderung zu erhalten, die komplementär ein Fordern einschließt“.
In seiner Laufzeit beeinflussten das Konzept und die Ergebnisse des Modellprojektes die politische Diskussion und den Gesetzgebungsprozess im sich formierenden aktivierenden Sozialstaat in Deutschland. Sowohl im Rahmen der Reformvorschläge zur Neuordnung der Arbeitsverwaltung als auch im Zusammenhang der Beratungen und Ausarbeitungen zu den gesetzlichen Grundlagen der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu einer Grundsicherung für Arbeitsuchende, wurden der Sozialagenturansatz und Zwischenergebnisse des Modellprojektes aufgegriffen. Darüber hinaus beeinflussten die für das Projekt entwickelten konzeptuellen Grundlagen der Methode ‚Case Management' das Fachkonzept ‚Beschäftigungsorientiertes Fallmanagement', das die Bundesagentur für Arbeit den Grundsicherungsträgern als fachliches Rahmenkonzept für die aktivierende Unterstützung arbeitsfähiger Bedürftiger im Rechtskreis des SGB II empfohlen hatte.
Das Modellprojekt hat aber nicht nur auf den sich formierenden aktivierenden Sozialstaat eingewirkt, sondern ist durch diesen Prozess selbst beeinflusst worden. Das neue Leitbild des Sozialstaates und die darauf bezogene Veränderung der gesetzlichen Grundlagen aktivierender Unterstützung arbeitsfähiger Bedürftiger stellte aus Sicht vieler Verantwortlicher und Mitarbeiter der Sozialagenturen die Fortführung des Modellprojektes in Frage. In der Folge versuchten vor allem Sozialagenturen mit einer beschäftigungsorientierten Ausrichtung, wie u.a. die Sozialagenturen in Bielefeld und in Duisburg, ihre konzeptuellen und organisatorischen Grundlagen an die sich abzeichnenden neuen gesetzlichen Vorgaben anzupassen.
Mit dem Auslaufen des Modellprojektes entschlossen sich eine Reihe der beteiligten Sozialhilfeträger die Arbeit ihrer Sozialagentur einzustellen. Andere Sozialhilfeträger entschieden sich dafür, dass ihre Sozialagentur, im Rahmen der ihnen durch das SGB II eröffneten Möglichkeit, in einer Arbeitsgemeinschaft mit der lokalen Arbeitsagentur zusammenzuarbeiten, wenigstens teilweise zu erhalten. Wieder andere prüften die Möglichkeit, die Grundsicherung arbeitsfähiger Bedürftiger in eigener Regie zu übernehmen. Hierzu sollten die Sozialagenturen als konzeptionelle und organisatorische Kerne genutzt werden.