Das Rahmenkonzept der Sozialagenturen
In Absprache mit dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Qualifikation und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen entwickelte die wissenschaftliche Begleitung des Modellprojektes das Rahmenkonzept einer Sozialagentur, das als Grundlage für die Gestaltung lokaler Sozialagenturkonzepte diente. Innerhalb dieses Rahmens sollte der von den Sozialhilfeträgern bereits angestoßene dienstleistungsorientierte Umbau ihrer Sozialämter eingepasst und damit den lokalen Besonderheiten Rechnung getragen werden. Im Folgenden wird dieses Rahmenkonzept der wissenschaftlichen Beglei-tung – die Ziele und Aufgaben, die Grundmerkmale, die Organisation und das Case Management-Konzept der Sozialagentur – vorgestellt und Grundlinien seiner Ausgestaltung an den Modellstandorten skizziert.
4.2.1 Die Ziele und Aufgaben der Sozialagenturen
Die ‚Sozialagentur', wie sie im Rahmenkonzept beschrieben wurde, stellte ein Modell zum dienstleistungsorientierten Umbau des Sozialamtes dar. Dies bedeutet, dass die Sozialagenturen, die sich an diesem Modell orientierten, auf der Grundlage der Gewährleistung aller Funktionen der Sozialhilfe die Funktion ‚persönliche Hilfe' aufwerteten und auf der Basis der Methode ‚Case Management' neu gestalteten. Ziel der ‚Sozialagentur' war, „Personen in prekären materiellen Lebenslagen [...] bei der Bewältigung ihrer Lebenssituation [zu; Hinweis: Einfügung B.H.] unterstütz[en] [Hinweis B.H.: Hervorhebungen im Original]. Bewältigungsressourcen werden durch individuell zugeschnittene Förderangebote und aktive Beteiligung erschlossen bzw., falls nicht vorhanden, geplant, entwickelt und bereitgestellt“. Die im Kontext der ‚Hilfe zur Arbeit' entwickelten Vorstellungen der personenbezogenen Unterstützung, wie ‚maßgeschneiderte Hilfe' und ‚passgenaue Vermittlung', wurden von der Sozialagentur aufgegriffen und auf alle Lebenslagen und Zielgruppen der Sozialhilfe ausgedehnt. Auf der Grundlage einer materiellen Existenzsicherung sollten Bedürftige unterstützt werden, soweit wie möglich ihre Selbsthilfekräfte zu entfalten. Dies konnte sich sowohl auf die menschenwürdige Gestaltung eines Lebens mit Sozialhilfe als auch auf die Verselbständigung aus der Sozialhilfe erstrecken.
Vor dem Hintergrund dieses Leitzieles stellten sich der ‚Sozialagentur' drei zentrale einzelfallbezogene Aufgaben:
• die Sicherstellung einer individuellen Beratung über alle mit der prekären Lebenssituation „zusammenhängenden Probleme, mit dem Ziel, gemeinsam mit den Ratsuchenden Lösungen zu finden“,
• die „Entwicklung von mittelund langfristigen Perspektiven der Existenzsicherung und der Verselbständigung“ und
• die „Vermittlung und Koordination geeigneter materieller und persönlicher Hilfe“.
Ergänzt wurden diese Aufgaben durch einzelfallübergreifende und einzelfallunabhängige Aufgaben. Zu ihnen zählten die Entwicklung „individuell zugeschnitten[er] [...] Förderangebot[e]“, die „Entwicklung von Strategien zur Gestaltung von KoProduktion“ zwischen Case Manager und Ratsuchendem und die „Entwicklung von Strukturen und Instrumenten einer effektiven Steuerung des Hilfeangebotes“.
Die Realisierung der Ziele und Aufgaben der ‚Sozialagentur' durch die am Modellprojekt teilnehmenden Städte und Kreise erfolgte vor dem Hintergrund gemeinsam erarbeiteter Rahmenund Bereichsziele. Als Grundsatzziel der Sozialagenturprojekte war formuliert worden: „Hilfen für Menschen in prekären Lebenslagen sind entwickelt und werden kooperativ realisiert, um durch materielle Leistungen und Dienstleistungen eine menschenwürdige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen“. Zur Erreichung dieser Zielsetzung wurden sieben Rahmenziele definiert. Im Zentrum standen das Rahmenziel 1, das auf eine bedarfsgerechte Ausgestaltung der Dienstleistung Sozialhilfe fokussiert („Ein adressatenbezogenes Qualitätsmanagement ist realisiert“), und das Rahmenziel 2, das auf die Realisierung der auf den Einzelfall bezogenen Ziele über den Aufbau eines der Angebotssteuerung dienenden Planungsund Steuerungsinstrumentariums gerichtet ist („Steuerungs-, Controllingund Planungsinstrumente werden angewendet“). Als weitere Rahmenziele wurden festgelegt:
„Die Wirtschaftlichkeit ist erhöht“ (Rahmenziel 3), „Die Vernetzung ist optimiert“ (Rahmenziel 4), „Prozesse der Organisationsentwicklung finden statt“ (Rahmenziel 5), „Personalentwicklung wird ausgebaut“ (Rahmenziel 6) und „Marketing und Öffentlichkeitsarbeit sind verbessert“ (Rahmenziel 7).
Die in den Händen der beteiligten Sozialhilfeträger liegende Implementierung der Ziele und Aufgaben der Sozialagentur war auf die lokalen Verhältnisse bezogen. Dabei zeigte sich, dass sich die meisten Sozialagenturprojekte auf die Zielgruppe der ar-beitsfähigen Bedürftigen und auf die Zielsetzung der Verselbständigung aus der Sozialhilfe konzentrierten. Die Berücksichtigung von Bedürftigen mit vielschichtigem Unterstützungsbedarf und ausgeprägten Vermittlungshemmnissen hatte einen geringen Stellenwert. Aus den durch die lokalen Träger gesetzten Schwerpunkte bei den Rahmenzielen der Sozialagenturprojekte war in der Mitte der Projektlaufzeit zu erkennen, dass sie vorrangig auf eine Verbesserung der direkten Leistungen für die Ratsuchenden, wie die Einführung des Case Management-Verfahrens, die passgenaue Vermittlung in den Arbeitsmarkt oder die Mobilisierung der Selbsthilfekräfte, und auf eine Forcierung der Personalentwicklung durch eine Fortund Weiterbildung der Case Manager oder durch die Schaffung von Anreizen, zielten. Von weit überdurchschnittlicher Wichtigkeit stuften die Träger auch die Rahmenziele „Erhöhung der Wirtschaftlichkeit“ und „Optimierung der Vernetzung“ ein. Dagegen waren für sie die Organisationsentwicklung lediglich von durchschnittlicher und der Aufbau eines Planungs-, Steuerungsund Controllinginstrumentariums nur von geringer Bedeutung.
4.2.2 Die Grundmerkmale der Sozialagenturen
Die wissenschaftliche Begleitung des Modellprojektes entwickelte Grundmerkmale für das Modell ‚Sozialagentur'. Danach sollten Sozialagenturen die Lebenslagen der Adressaten in ihrer gesamten Breite bearbeiten („Breite des Zielsystems“) und ihre Unterstützungsangebote sowohl auf die „aktive und bewegliche Selbsthilfe [...] als auch auf die Ermöglichung eines Lebens, in dem die Menschenwürde gesichert ist“, zielen („Breite des Angebots“). Zudem sollten Sozialagenturen eine synergetische Kombination aus materieller Hilfe und personenbezogener Unterstützung anstreben. Neben diesen zentralen Merkmalen sollte eine Sozialagentur durch folgende zusätzliche Merkmale gekennzeichnet sein:
• „sozialräumliche Ausrichtung“,
• institutionen-, trägerund interessenübergreifendes Netz von Unterstützungsangeboten, um passgenaue Hilfen zu ermöglichen,
• koproduktiv orientierte Erbringung der Unterstützung,
• „Inklusionsorientierung“, die einen „aktiven Sozialstaat, der sich gegen die soziale Ausgrenzung von Bürgern tätig einsetzt“, unterstellt und
• Förderung einer synergetischen Verknüpfung der Akteure des lokalen Hilfesystems.
Darüber hinaus würden die vielfältigen neuen Kompetenzen des Personals der Sozialagentur eine gezielte Personalentwicklung (Fortund Weiterbildung) und den Aufbau einer lernenden Organisation erfordern.
Vor dem Hintergrund dieser Merkmale thematisierte die wissenschaftliche Begleitung die Ausgestaltung einer Sozialagentur in der Praxis. Hierzu wurden Fragen zur Organisation des Zugangs der Bedürftigen, nach der Steuerung des Einzelfalles und des Unterstützungsangebotes, nach den Entscheidungsprozessen in einer Sozialagentur und nach dem Verhältnis von personenbezogenen und materiellen Leistungen gestellt. Zudem wurden die Kooperation der Sozialagentur mit anderen Leistungsanbietern des lokalen Hilfesystems, wie insbesondere den Akteuren des Arbeitsmarktes, ihren Bedarf an Ressourcen und deren Finanzierung, sowie die Qualifizierung des Personals in den Blick genommen. Dabei wurde der Aspekt der Steuerung als zentral angesehen.
4.2.3 Die Organisation der Sozialagenturen
Das Sozialagenturkonzept der wissenschaftlichen Begleitung unterschied zunächst drei Grundvarianten der Organisation einer ‚Sozialagentur':
• Organisationsvariante 1: Der örtliche Sozialhilfeträger erbringt organisatorisch aus einer Hand materielle Leistungen und personenbezogene Dienstleistungen der Sozialagentur.
• Organisationsvariante 2: Der örtliche Sozialhilfeträger erbringt organisatorisch getrennt aber am selben Ort materielle Leistungen und personenbezogene Dienstleistungen der Sozialagentur.
• Organisationsvariante 3: Die Sozialagentur ist außerhalb des örtlichen Sozialhilfeträgers angesiedelt. Dieser überträgt die Erbringung personenbezogener Dienstleistungen auf einen freien Träger, der Bedürftige zur Gewährung materieller Leistungen an das Sozialamt vermittelt.
Vor dem Hintergrund der Erfahrungen an den Modellstandorten entwickelte die wissenschaftliche Begleitung am Ende der Projektlaufzeit diese Organisationsvarianten zu vier Grundtypen einer Sozialagentur weiter:
• Grundtypus 1: Integrierte Sozialagentur
Die Sozialagentur stellt eine Weiterentwicklung des Sozialamtes dar, in der organisatorisch aus einer Hand materielle Leistungen und personenbezogene Dienstleistungen (‚Case Management') erbracht werden. Zudem verfügt die Sozialagentur entweder selbst über Instrumente der ‚Hilfe zur Arbeit' oder ist eng mit einer organisatorischen Einheit verbunden, die solche Leistungen erbringt.
• Grundtypus 2: Sozialagentur als Netzwerk
Die Sozialagentur setzt sich aus mehreren Kooperationspartnern zusammen, die als arbeitsteiliges Netzwerk materielle (durch das Sozialamt) und auf die gesamte Breite der Bedarfe ausgerichtete personenbezogene Dienstleistungen (‚Case Management') erbringen. Die strategische Ausrichtung der Sozialagentur ist vom Gewicht der einzelnen Kooperationspartner abhängig.
• Grundtypus 3: Arbeitsmarktzentrierte kooperative Sozialagentur
Die Sozialagentur ist auf die Verselbständigung arbeitsfähiger Bedürftiger in Erwerbsarbeit spezialisiert. Materielle Leistungen werden nicht selbst, sondern durch Vermittlung der Ratsuchenden an das Sozialamt erbracht. Es werden schwerpunktmäßig Zielgruppen angesprochen, von denen zumindest mittelfri-stig erwartet wird, dass sie in der Lage sind, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Neben der Unterstützung durch die Methode ‚Case Management' werden vor allem Angebote der ‚Hilfe zur Arbeit' vorgehalten. Freie Träger halten als spezialisierte Dienstleister, insbesondere Qualifizierungsmaßnahmen und Beschäftigungsangebote vor.
• Grundtypus 4: Lebenslagenzentrierte kooperative Sozialagentur
Die Sozialagentur stellt eine Weiterentwicklung des Sozialamtes dar, in der aus einer Hand materielle Leistungen und personenbezogene Dienstleistungen (‚Case Management') erbracht werden. Sie ist auf die Verselbständigung der Bedürftigen, jedoch nicht notwendigerweise ausstiegsorientiert und erwerbszentriert, ausgerichtet. Freie Träger werden als personenbezogene Dienstleister breit eingebunden.
4.2.4 Das Case Management-Konzept der Sozialagenturen
Im Zentrum der Unterstützung von Bedürftigen durch die ‚Sozialagentur' steht die Erbringung personenbezogener Dienstleistungen auf der Grundlage der Methode ‚Case Management'. Zum Verständnis und Ablauf dieser Methode entwickelte die wissenschaftliche Begleitung des Modellprojektes auf der Grundlage des beschäftigungsorientierten Konzeptes ‚Integrierte Hilfe zur Arbeit' für die beteiligten Sozialagenturen einen Leitfaden. Vor diesem Hintergrund waren die Sozialagenturprojekte aufgefordert, die Methode ‚Case Management' zu implementieren.
Es zeigte sich, dass alle beteiligten Sozialagenturprojekte, wenn auch mit unterschiedlichen Bezeichnungen, diese Methode zur Grundlage ihrer personenbezogenen Unterstützung machten. Die einzelnen Konzepte unterschieden sich zum Teil erheblich voneinander. Dies war erwartet worden und durchaus gewollt. Die Konzepte unterschieden sich im Grundverständnis der Methode ‚Case Management', in ihrer Aufbauund Ablauforganisation und in der Auswahl der Case Manager. Diese Unterschiede verwiesen auf verschiedene Ausgangsbedingungen und Ziele der einzelnen Sozialagenturprojekte, auf unterschiedliche Verständnisse und Vorerfahrungen mit der Methode ‚Case Management' in den lokalen Sozialverwaltungen und auf den Einfluss der den Prozess der Implementierung moderierenden Projektund Konzeptberater der wissenschaftlichen Begleitung.
4.2.5 Das Ausbildungskonzept ‚Case Management'
Um bei allen Beratern der am Modellprojekt beteiligten Sozialagenturprojekte eine qualifizierte Anwendung der Methode ‚Case Management' sicherzustellen, wurde ihnen eine Fortbildung in Case Management angeboten. Mit dieser Aufgabe wurde der Bildungsträger ‚COM.CAT' beauftragt. Er entwickelte in enger Absprache mit der wissenschaftlichen Begleitung ein Ausbildungskonzept. Dieses beinhaltete die Themen Arbeitsbündnis, Klärungshilfe durch Assessment, lösungsorientierte Ressourcenstärkung, Aktivierung sozialer Netzwerke, Hilfeplanung und Angebote bewerten, entwickeln und steuern. Die Fortbildung sollte bei den Teilnehmern die Akzeptanz für die Idee und das Konzept der Methode ‚Case Management' wecken und vertiefen. Darüber hinaus sollten sie den aktivierenden, lösungsorientierten Unterstützungsansatz, welcher Ratsuchende auf der Grundlage ihrer Stärken anspricht und anstrebt, sie „zu verantwortlichen Akteuren ihrer jeweiligen Lebenssituation“ zu machen, als tragenden Teil des Case Managements verinnerlichen („Empowerment“). Zudem sollte die Fortbildung auf der Grundlage der berufsspezifischen Erfahrungen der Teilnehmer „arbeitsplatznah“ und „praktisch verwertbar“ gestaltet werden.
Die spezifische Zielgruppe der Teilnehmer erforderte eine auf sie bezogene didaktische Vorgehensweise bei der Vermittlung der Lerninhalte. Sie schloss neben einer schrittweisen Erarbeitung des Lehrstoffes („Lernzielorientierung“), ein Lernen vor dem Hintergrund der Lebensund Berufserfahrungen der Teilnehmer („Austausch und Verständigung“) und der institutionellen Erwartungen des Auftraggebers („institutionelle Anforderungen“) ein.
Die Fortbildung erstreckte sich über 18 Tage. Sie wurde über einen längeren Zeitraum in mehreren Blockveranstaltungen durchgeführt. Das Curriculum setzte sich aus den Modulen ‚Auftakt', ‚Case Management', ‚lösungsorientierte Beratung', ‚Modera-tion und Visualisierung', ‚Zeitund Projektmanagement', ‚Zielvereinbarung', ‚Praxistraining' und ‚Coaching am Arbeitsplatz' zusammen. Der Bildungsträger führte insgesamt fünf Fortbildungen durch. Die Teilnehmer zeigten eine „breite positive Resonanz“.