Soziale Stadt

‚Soziale Stadt' ist das Dispositiv, das seit Ende der 1990er Jahre auf sozial/räumliche Spaltungs- und Polarisierungsprozesse reagiert, die ganze Bevölkerungsgruppen und urbane Räume dauerhaft auszugrenzen drohen und den sozialen Frieden gefährden (vgl. Krätke und Borst 2000; Lanz 2007). Das Bild der sozialen Stadt taucht beim Regierenden Bürgermeister Wowereit (2008) in Gestalt der „lebenswerten Metropole“ auf, „in der alle ihren Platz haben“. In der urbanen Realität tritt es in Form des Bund-Länder-Programms ‚Soziale Stadt' und den davon finanzierten Quartiersmanagementverfahren in Erscheinung, mit denen der Lokalstaat sozialpolitisch in ‚benachteiligte Stadtviertel' interveniert. Explizit sollen mit ihrer Hilfe benachteiligte Bewohnergruppen soweit ‚ermächtigt' werden, dass sie sich und ihre Sozialräume selbstverantwortlich regieren und möglichst schnell ohne staatliche Zuwendung auskommen können (Lanz 2008). Lokale Nachbarschaft wird im kommunitaristischen Sinne als community konstruiert, deren Mitglieder solidarisch füreinander sorgen (sollen). Als „Regieren durch Community“ (Rose 2000) versucht dieses in den Politikfeldern ‚Integration', Bildung und Erwerbstätigkeit implementierte Programm von oben herab, eine lokale Zivilgesellschaft dort zu installieren, wo sie vermeintlich nicht mehr existiert. Dabei drängt es Individuen und Gemeinschaften dazu, Selbstverantwortung für sich und den Stadtteil zu übernehmen. Aus Sicht der Berliner Senatsverwaltung (2010, S. 7) soll diese „angewandte Kohäsionspolitik“ „Zusammenhalt stärken, soziale und ethnische Integration fördern, integrierte Stadtteilentwicklung partizipativ und fachübergreifend umsetzen“. Konzipiert werden Interventionsstrategien, die auf bürgerliches Engagement, Partizipation und Konsens sowie auf öffentlich-private Partnerschaften gründen und „verschiedene Dimensionen solidarischer Einbindung von Individuen in Gemeinschaften sowohl zu ‚erfinden' als auch zu instrumentalisieren“ versuchen (Rose 2000, S. 85). Beispielsweise können lokal gewählte Quartiersräte über die Verwendung der zur Verfügung gestellten Finanzmittel mitbestimmen.

Das Programm hat bezogen auf sein Ziel der sozialen Kohäsion interessante Projekte hervorgebracht, war aber nicht in der Lage, den Trend der Zunahme von Armut und sozialer Exklusion umzudrehen (vgl. Lanz 2014). Vielmehr verdrängen heute rapide Gentrifizierungsprozesse, die bereits innerstädtische Interventionsquartiere der Sozialen Stadt erfasst haben (vgl. Holm 2013), benachteiligte Zielgruppen des Programms an die Stadtränder. Die sozialräumliche Segregation verschärft sich so weiter. Parallel dazu kommen viele Armuts- und RassismusFlüchtlinge v. a. aus südosteuropäischen EU-Staaten in benachteiligten Gebieten in Mitte oder Neukölln unter, wo sie etwa in überbelegten (Substandard-)Wohnungen oft in äußerst prekären Umständen leben. Unter ihnen sind viele mittellose RomaFamilien, die entweder irregulär in Berlin bleiben, Asyl beantragen oder durch eine Gewerbeanmeldung als ‚Kleinunternehmer' Aufenthaltsrecht erhalten (vgl. Bezirksamt Neukölln 2013).

Ein solches „stilles Vordringen der einfachen Leute“, wie Asef Bayat (2012) die Taktiken marginalisierter Gruppen bezeichnet, sich mit Hilfe aller möglichen regulären, irregulären und illegalen Praktiken einen Platz in der Stadt zu verschaffen, ist in Metropolen stets eine pionierhafte Modernisierungsleistung gewesen. Diese Erkenntnis scheint ausgerechnet das Bezirksamt Neukölln zu teilen, das eher für die „Multikulti ist gescheitert“-Ideologie seines Bürgermeisters Buschkowsky berüchtigt ist (vgl. Lanz 2007; Schiffauer 2014). Der Roma-Statusbericht des Amtes verbindet die im öffentlichen Diskurs meist skandalisierte Zuwanderung der Südosteuropäer mit der programmatischen Aussage „Deutschland braucht Zuwanderung“: Der „deutsche Staat und die Gesellschaft tragen eine besondere Verantwortung, auch diesen Menschen, die neu zu uns kommen, Unterstützung auf ihrem Weg in ein selbstbestimmtes Leben und für gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen“ (Bezirksamt Neukölln 2013, S. 28). Trotz „aller Problemlagen“ wird „eine Vielzahl positiver Entwicklungen“ (ebd.) erkannt und für eine unaufgeregt pragmatische Integrationspolitik im Rahmen der Quartiersmanagementverfahren plädiert.

 
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