Die beobachteten Verläufe der aktivierenden Unterstützung
Die Untersuchung des Handelns der Case Manager der Sozialagentur Duisburg wurde auf der Grundlage beobachteter Verläufe der aktivierenden Unterstützung (Fälle) vorgenommen. In diesem Abschnitt werden zunächst zentrale Merkmale des Fallsamples und demographische Merkmale der Ratsuchenden zu Beginn der Unterstützung beschrieben (Abschnitt 6.2.1). Anschließend wird der exemplarische Fall des Samples bestimmt, zentrale Merkmale seines Verlaufs dargestellt und der unterstützte Ratsuchende nach demographischen Merkmalen und nach seiner Lebenssituation beschrieben (Abschnitt 6.2.2).
6.2.1 Das Fallsample
Im Rahmen der Sozialagentur Duisburg wurden in zwei Dienstleistungszentren bei drei Case Managern sechs Verläufe aktivierender Unterstützung beobachtet. Die Auswahl der Fälle wurde auf Vorschlag der Case Manager vorgenommen. Der durchschnittliche Zeitraum der Unterstützung lag bei 106 Tagen. Die Bruttodauer der einzelnen Unterstützungen schwankte zwischen einem und 238 Tagen. Im Rahmen der Verläufe vereinbarten die Case Manager mit den Ratsuchenden insgesamt neunzehn Unterstützungsgespräche. Davon haben siebzehn Gespräche stattgefunden. Der Beobachter nahm an zwölf Gesprächen teil. Die Gespräche dauerten durchschnittlich dreißig Minuten. Ihr zeitlicher Umfang schwankte zwischen zwölf und 54 Minuten. Die Case Manager schlossen alle beobachteten Unterstützungsprozesse ab. Drei Prozesse mussten auf Grund der Schließung der Sozialagentur vorzeitig beendet werden. In fünf der sechs Fälle führte die aktivierende Unterstützung nicht zu einer Verselbständigung der Ratsuchenden aus der Sozialhilfe. Die betreuten Personen wurden wieder in die sichernde Hilfe abgegeben. Ein Unterstützungsprozess endete mit der Aufnahme einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit des Ratsuchenden.
In den betrachteten Fällen unterstützten die Case Manager sieben Ratsuchende. Zu Beginn der Unterstützung standen sechs der Ratsuchenden einem Haushalt vor: zwei Alleinstehenden-, zwei Paar und zwei Alleinerziehendenhaushalte. Insgesamt waren zwölf Personen, acht Erwachsene und vier Kinder und Jugendliche, in die Unterstützung einbezogen. Von den Haushaltsvorständen waren vier Männer und zwei Frauen, fünf hatten die deutsche Staatsbürgerschaft, einer war ausländischer Staatsbürger. Die Haushaltsvorstände waren zwischen 27 und 46 Jahren alt. Ihr Durchschnittsalter betrug 38,7 Jahre. Zwei Haushaltsvorstände waren ledig, einer verheiratet und drei lebten von ihren Partnern getrennt.
6.2.2 Der exemplarische Fall
Zur detaillierten Beschreibung der Gestaltung des Musters der Anwendung der Methode ‚Case Management' im Fallsample der Sozialagentur Duisburg wird ihr exemplarischer Fall bestimmt. Dies geschieht in zwei Schritten: Zunächst werden auf der Grundlage der Kategorien des Beobachtungsbogens ihre Ausprägungen für das Fallsample beschrieben und danach diese mit den entsprechenden Ausprägungen der einzelnen Fälle des Samples verglichen. Der Fall mit der größten Zahl an Übereinstimmungen wird als ihr exemplarischer Fall angesehen. Im Folgenden wird das Ergebnis des Vergleichs dargestellt:
Tabelle 6: Bestimmung des exemplarischen Falls des Fallsamples der Sozialagentur Duisburg
Beobachtungskategorie |
Ausprägung |
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Fallsample |
Fall |
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1 |
2 |
3 |
4 |
5 |
6 |
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Thematisierung der Prozessschritte |
Die Case Manager thematisieren eine Mehrzahl der Prozessschritte der Methode ‚Case Management'. |
- |
X |
- |
- |
- |
X |
Bearbeitungstiefe |
Die Case Manager unterstützen die Ratsuchenden überwiegend erwerbsbezogen. |
- |
X |
X |
X |
X |
X |
Einbezug des Ratsuchenden |
Die Case Manager beteiligen die Ratsuchenden überwiegend ‚sehr stark' und ‚stark' an der Unterstützung. |
X |
X |
- |
X |
X |
X |
Wahrnehmung anwaltlicher, informierender und vermittelnder Unterstützungsaufgaben |
Die Case Manager nehmen am häufigsten informierende, am zweithäufigsten vermittelnde und am dritthäufigsten anwaltliche Unterstützungsaufgaben wahr. |
- |
- |
X |
X |
- |
- |
Wahrnehmung der befähigenden Rolle |
Die Case Manager nehmen Handlungsdimensionen der befähigenden Rolle häufiger als Handlungsdimensionen der direktiven Rolle wahr. |
X |
X |
- |
- |
X |
- |
Thematisierung der Unterstützungsinstrumente |
Die Case Manager setzen keine Unterstützungsinstrumente ein. |
X |
X |
X |
X |
X |
X |
Alle |
Muster der Anwendung der Methode ‚Case Management'. |
3 |
5 |
3 |
4 |
4 |
4 |
Hinweis: ‚X' bedeutet ‚trifft zu'; ‚-' bedeutet ‚trifft nicht zu'.
Anhand von Tabelle 6 ist zu erkennen, dass Fall 2 die größte Übereinstimmung mit dem vorgegebenen Muster der Anwendung der Methode ‚Case Management' im Fallsample zeigt. Allerdings ist festzuhalten, dass sich drei der sechs Ausprägungen des Fallsamples nicht bei einer Mehrzahl der Einzelfälle wiederfinden. Dies deutet auf eine eingeschränkte Repräsentanz des exemplarischen Falls hin.
Der exemplarische Fall wurde im Dienstleistungszentrum Duisburg-Süd beobachtet. Der betrachtete Unterstützungsprozess begann am 15.9.2003 und endete am 27.2.2004 mit der Überstellung des Ratsuchenden in die sichernde Hilfe. Der auf Grund der Schließung der Sozialagentur abgebrochene Unterstützungsprozess erstreckte sich über 166 Tage. Seine Bruttodauer lag im Vergleich zu der für das Fallsample berechneten durchschnittlichen Unterstützungsdauer höher. Die Case Managerin führte in ihrem Büro insgesamt vier Unterstützungsgespräche mit dem Ratsuchenden durch. Für die ersten beiden Gespräche hatte sie einen Termin mit dem Ratsuchenden vereinbart. Das dritte und vierte Gespräch kam jeweils kurzfristig auf Grund eines dringenden Unterstützungswunsches des Ratsuchenden zustande. Deshalb war es dem Beobachter nur möglich, an den beiden ersten Gesprächen teilzunehmen. Verlauf und Ergebnisse des dritten und vierten Unterstützungsgespräches wurden ihm von der Case Managerin mitgeteilt.
Die Sozialhilfesachbearbeitung des Dienstleistungszentrums wies aus ihrem Fallbestand den Ratsuchenden Herrn Dimm der Case Managerin zu. Im Vorfeld der Unterstützung sprach die Arbeitsgruppenleiterin der Case Managerin von ihm als einem „schwierigen Fall“. Seit 1993 hatte der Ratsuchende mehrmals für kürzere und längere Zeiträume laufende Hilfe zum Lebensunterhalt bezogen. Seine erste Bedürftigkeit stand mit Drogenproblemen in Zusammenhang.
Zu Beginn der aktivierenden Unterstützung war der Ratsuchende 42 Jahre alt, deutscher Staatsangehöriger, ledig und alleinstehend. Herr Dimm lebte in einer Mietwohnung. Der Ratsuchende hatte die Realschule besucht und sie mit der Mittleren Reife abgeschlossen. Anschließend absolvierte er eine Ausbildung zum Bergmechaniker und zum Elektriker. Seit seinem schweren Verkehrsunfall im Jahre 1997 war Herr Dimm nicht mehr in der Lage, in seinen erlernten Berufen zu arbeiten. Das Arbeitsamt bewilligte ihm 1999 eine Umschulung zum Offsetdrucker, die er jedoch aus gesundheitlichen Gründen im März 2000 abbrach. Seitdem bezog er Arbeitslosenhilfe und Hilfe zum Lebensunterhalt. Darüber hinaus erhielt er, wie die Arbeitsgruppenleiterin mitteilte, Geldgeschenke von seinen Eltern, die ihm auch den Unterhalt seines Autos finanzierten. Im Erstgespräch der Unterstützung schilderte Herr Dimm, dass er auf Grund der Unfallfolgen schlaganfallgefährdet sei, starke Rückenbeschwerden habe und seine Bandscheiben abgenutzt seien. Er müsse deshalb ständig schmerzstillende und blutdrucksenkende Medikamente einnehmen, die seine Steuerungsfähigkeit beeinträchtigen. Zudem könne er keine schwereren Lasten tragen. Der Ratsuchende stufte sich selbst als nur „bedingt arbeitsfähig“ ein.