Die Frage der Zugehörigkeit inmitten von Krise und Besorgnisdiskurs

Herausgefordert zu Kommentaren wurden die Menschen in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg nicht in erster Linie aufgrund der sozioökonomischen und demographisch-kulturellen Besonderheiten des Ruhrgebiets. Es war vor allem die als krisenhaft empfundene Zeit tiefgreifenden Wandels in Deutschland und damit auch im Ballungsgebiet an der Ruhr, die Anlass zu einer Flut von Beschreibungen und Bewertungen gab. Aus der Mischung wurde ein Konglomerat, daraus schließlich für manche ein „unklarer Kulturbrei“ (Brepohl 1922, S. 170 f.).

Ein Strang der Ruhrgebietsanalyse bestand in einem Konvolut unterschiedlicher Befürchtungen, die verschiedene Szenarien heraufbeschworen, in denen nicht selten soziales Chaos und politische Unruhe eine Rolle spielten. Stärker als bislang in der kurzen Geschichte des montanindustriellen Ballungsraumes entspann sich ein in seinen Analysen und Schlussfolgerungen neuartiger Besorgnisdiskurs. Diejenigen, die ihn vorantrieben, führten die Ursachen für das von ihnen diagnostizierte Problem in erster Linie auf die heterogene Zusammensetzung der Menschen zurück, die sich im Revier niedergelassen hatten. Sie seien – selbst nach jahrzehntelangem Aufenthalt – nicht in der Region verwurzelt, besäßen im schlimmsten Fall gar keine Wurzeln, die allein für ein Gefühl der Zugehörigkeit und damit der Stabilität sorgen konnten.

Aktuelle Debatten über Integration und Inklusion weisen ähnliche Muster der Zuschreibung und Ausgrenzung auf. Dabei wird oft von einem Gefühl der Zugehörigkeit gesprochen, doch selbst der Begriff der Heimat erlebt eine Renaissance (Schwarz 2014). Wiederum geschieht das inmitten des anhaltenden Strukturwandels der Region vor dem Hintergrund einer tiefgreifenden sozioökonomischen Transformation. Die Zuschreibungen heute mögen im Einzelnen inhaltlich von denen des frühen 20. Jahrhunderts abweichen. Dennoch bestehen bestimmte Grundlagen fort, auf denen die besorgten Stimmen in der früheren Zeit zu ihren Schlüssen kamen: die Heterogenität der Bevölkerung, also die multiethnische Zusammensetzung, die als fremd empfundene ‚andere' Kultur bzw. Bevölkerungsgruppe, die Verknüpfung von sozialen und politischen Faktoren, die Ratlosigkeit der Politik verknüpft mit einer hektischen Suche nach Deutungen und Steuerungsmechanismen. In den seltensten Fällen lag den Deutungen allerdings eine solide Kenntnis der Situation zugrunde.

 
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