Wie kommt es zum Stunting, und was bedeutet das?
Die Wachstumsverzögerung durch Mangelernährung beginnt bereits in Utero und setzt sich vor allem zwischen dem zwölften und 18. Lebensmonat fort (Matorel & Young 2012.). Innerhalb, jedoch nicht zwischen Ethnien ist der genetische Einfluss auf Unterschiede im Längenwachstum gering, d. h., Stunting ist innerhalb einer Ethnie nicht Zeichen genetischer Einflüsse. Eine interessante Hypothese hat Golden (1988) aufgestellt, der diese schwer wieder aufholbare Wachstumsstörung darauf zurückführt, dass der wachsende Organismus bei unzureichendem Nährstoffangebot primär die lebenswichtigen Organe versorgt, statt sie für das Wachstum zu verwenden.
Während der Stillzeit haben Säuglinge einen hohen Bedarf an Energie und Mikronährstoffen. Sie sind außerdem sehr empfindlich gegenüber Infektionen, besonders unter unhygienischen Bedingungen. Kinder, die in Bezug auf Energie und Mikronährstoffe nicht ausreichend ernährt werden oder häufiger erkranken, fallen daher in ihrer körperlichen Entwicklung hinter diejenigen zurück, die besser versorgt sind. Äußeres Zeichen dieser Entwicklungsverzögerung ist ein im Vergleich zu ausreichend ernährten Kindern verringertes Längenwachstum. Liegt dieses um zwei Standardabweichungen unter dem Normalwert gesunder Kinder dieser Altersgruppe, so spricht man von Stunting, sind es drei Standardabweichungen oder mehr, von schwerem Stunting.
Mangelernährung ist die eigentliche Ursache des Stunting. Was aber in der Ernährung ist für das verringerte Wachstum verantwortlich? Ist es die Energie oder die Eiweißzufuhr, oder ist es die Lebensmittelqualität, also die ausreichende Versorgung mit allen oder einigen essenziellen Mikronährstoffen?
Das Problem, die quantitative Versorgung (Energie/Makronährstoffe) von der qualitativen zu trennen, besteht darin, dass eine unzureichende Energiezufuhr immer auch eine unzureichende Zufuhr an essenziellen Mikronährstoffen bedeutet. Indem untersucht wird, inwieweit eine Änderung der Energiezufuhr ohne gleichzeitige Veränderung der Qualität des Lebensmittels einen Einfluss auf das Längenwachstum hat, kann eine solche Differenzierung gelingen. Durch Vergleich der Fütterung zweier unterschiedlicher Formula an Säuglinge (8–41 Tage, 112–167 Tage), die die gleiche Menge an Mikronährstoffen enthielten, jedoch unterschiedliche Energiemengen, wurde versucht, diese Frage zu klären (Fomon et al. 1975; 1977). Unter der energiereicheren Kost kam es zu einer signifikanten Zunahme des Körpergewichts, jedoch nicht zu Unterschieden im Längenwachstum. Die Frage, ob eine unzureichende Energiezufuhr allein für ein verringertes Längenwachstum verantwortlich ist, wird zwar immer wieder kontrovers diskutiert, die Beobachtung, dass Kinder mit Stunting nicht unbedingt ein Wasting (zu geringes Gewicht für das Alter bei quantitativer Unterernährung) aufweisen, spricht jedoch gegen diese Annahme. Dennoch ist eine unzureichende Energiezufuhr ein Indikator für eine ebenfalls ungenügende Zufuhr an Mikronährstoffen. Die Kompensation der Energie allein (z. B. durch Reis oder Weizen) wird demnach kaum einen Einfluss auf das Längenwachstum haben. Vielmehr täuscht ein höheres Körpergewicht über das eigentliche Problem hinweg. Es ist der Hidden Hunger, der für das Stunting weit mehr verantwortlich ist.