Das Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) 2004
Der Streit um die Gesetzgebungskompetenz des Bundes
Die rot-grüne Koalition vereinbarte 2002 (Koalitionsvertrag 2002, S. 29 f.) den Ausbau der Kinderkrippen (Kinder im Alter von ein bis drei Jahren)5 und legte 2004 den Entwurf eines Tagesbetreuungsausbaugesetzes (TAG) vor (Wiesner 2004). Der Bundesrat formulierte „erhebliche Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit“. Der Bund sei „zu einer solchen grundlegenden Umgestaltung der Kindertagesbetreuung mit hoher Regelungsdichte nicht befugt“ (BT-Drs. 15/3676). Sie diene weder der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, noch der Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit. Die vorgelegten Vorschläge ließen „den Ländern keinen eigenen Bereich politischer Gestaltung von substanziellem Gewicht. Im Übrigen entspricht der Entwurf auch nicht den Reformzielen der Föderalismuskommission: der Verbesserung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeiten von Bund und Ländern durch Entlechtung von Entscheidungsprozessen sowie der deutlichen Zuordnung der politischen Verantwortlichkeiten von Bund und Ländern mit einer Stärkung der Länderkompetenzen“ (BR-Drs. 586/04-Beschluss, Anlage). Weiter verwies der Bundesrat auf das Juniorprofessuren-Urteil (BVerfGE 111, 226). Er bestritt dem Bund zwar nicht generell die Befugnis zur Gesetzgebung, beklagte aber den „Detaillierungsgrad“, der die „den Kommunen obliegende Planungs- und Handlungsverantwortung in sachlicher und zeitlicher Hinsicht unangemessen und in nicht notwendigem Umfang“ einschränke.6 Schließlich lehnte er den Finanzierungsvorschlag ab (BR-Drs. 834/04-Beschluss).
Die Bundesregierung sah hingegen „keine grundlegende Umgestaltung der Kinderbetreuung“, und die Neuregelung weise „den örtlichen Trägern der Jugendhilfe weder eine neue Aufgabe zu“ noch ändere sie „ […] den Verplichtungsgrad einer bereits gesetzlich normierten Aufgabe“ (BT-Drs. 15/3986, 3). Ferner sei zur „Wahrung der Rechtsals auch der Wirtschaftseinheit […] im gesamtstaatlichen Interesse eine bundeseinheitliche Regelung für die Kinderbetreuung erforderlich“ (BT-Drs. 15/3986, 3–4), denn die Länder und Kommunen hätten „die gesetzliche Verplichtung eines bedarfsgerechten Ausbaus […] in den letzten zehn Jahren“ nicht einmal „ansatzweise“ erfüllt (803. Sitzung des Bundesrats, 24.9.2004, S. 431–432).
Diese gegensätzlichen Positionen zur Gesetzgebungskompetenz finden sich auch in der Literatur (siehe Henneke 2012; Schoch 2003; Wabnitz 2009, S. 200–205; Wiesner 2004, S. 451–452). Weil der Bundesrat auf Klage vor dem Bundesverfassungsgericht verzichtete, muss offen bleiben, wer richtig liegt. So verlagerte sich die Auseinandersetzung von der Kompetenzfrage auf die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit und der Finanzierung.