Schlussbetrachtung

Bei der vergleichenden Betrachtung von TAG und KiföG ergeben sich auf den verschiedenen Ebenen Gesetzgebung, Durchführung und Finanzierung unterschiedliche Befunde, die deswegen getrennt zusammengefasst werden:

Gesetzgebung

1. Beide Gesetzgebungsprozesse sind in erheblicher, wenn auch unterschiedlicher Weise durch Informalität geprägt. Das erzielte Ergebnis ließ sich nur durch die Umgehung der formalen Rigidität der Regelungsstruktur erreichen.

2. Deren Änderung in der Föderalismusreform hätte erwarten lassen, dass informelle Prozesse erschwert worden waren. Diese Erwartung erfüllte sich nicht. Die neue Akteurkonstellation in der Großen Koalition erwies sich für die Durchsetzbarkeit ebenso als ausschlaggebender wie die Medialisierung des Vorhabens.

3. Die Länder ließen ihr Blockadepotenzial im Bundesrat wie vor dem Verfassungsgericht ungenutzt, weil der politische Preis zu hoch gewesen wäre, wegen Zuständigkeitsfragen ein allgemein als wichtig eingestuftes politisches Vorhaben zum Scheitern zu bringen. Bei den Ländern wogen die tagespolitischen Erwägungen schwerer als die langfristigen Folgen des fortgesetzten legislativen Kompetenzverlusts. Die mögliche Verfassungswidrigkeit der gefundenen Lösung verschuf den Ländern fortan aber ein potenzielles Machtinstrument gegenüber dem Bund.

4. Informalität und Medialisierung verhalfen dem Bund maßgeblich, sein Vorhaben durchzusetzen. Durch sein starkes Engagement in der Sache erweckte er aber den unzutreffenden Eindruck, er sei für den Ausbau auch zuständig. Die Verwischung der Zuständigkeiten ist aus demokratietheoretischer Sicht bedenklich.

5. Das TAG und das KiföG sind weitere Schritte zur Verstaatlichung der Kinder- und Jugendhilfe, die traditionell durch korporatistische Strukturen geprägt war. Im Einklang damit fand der „Krippengipfel“ ohne die Vertreter der Träger statt, obwohl diese wichtige zivilgesellschaftliche Akteure im Feld sind. Dass sich diese dennoch bereitwillig am Ausbau beteiligen zeigt, dass der Bund richtig vermutete, dort nicht auf Widerstand zu stoßen, wenn er sein Ziel hierarchisch durch Erweiterung des Rechtsanspruchs zu erreichen versuchen würde. Ein Fall von klassischem government, nicht von „new governance“.

Durchführung

6. Größtes Hindernis beim Ausbau der Kindertagesstätten war der Personalmangel. An diesem Punkt wäre „new governance“ wohl angezeigt gewesen, um absehbare Probleme frühzeitig angehen zu können. Oder anders: ein Fall von partiellem Scheitern klassischen governments.

7. Ferner erwies sich die formelle Regelungsstruktur bei der Durchführung des Ausbaus als bedeutender Faktor. Das Konnexitätsprinzip verschafft den Kommunen eine rechtlich starke Position gegenüber den Ländern, bei Kostenbelastungen jeder Art.

Finanzierung

8. Die Verfassung ermöglichte nur einen, dazu unsicheren Weg, um die zugesagten Bundesmittel an die Länder zu bringen. Die Verwaltungsvereinbarung nach Art. 104 b GG verweist die Akteure auf die Verhandlung als kooperativem Steuerungsmodus, die nicht im Schatten der Hierarchie stattfanden. Die Regelungsstruktur garantierte den Ländern zudem, nicht an den „goldenen Zügel“ des Bundes genommen werden zu können.

9. Bei der Nachfinanzierung war das Ergebnis durch die Verschränkung konstitutioneller (fragile Verfassungsmäßigkeit des KiföG, Koppelgeschäfte im Bundesrat) und politischer Faktoren (die Furcht des Bundes, kurz vor der Bundestagswahl für das Scheitern des Ausbaus verantwortlich gemacht zu werden) beeinlusst. Die Länder nutzten die ihnen durch die konstitutionelle Regelungsstruktur verliehene Stellung kompromisslos zur Durchsetzung ihrer Interessen.

Durch den Vergleich konnte für den betrachteten Fall gezeigt werden, dass die Akteure in einer gewandelten Umwelt (neue Konstellation, Föderalismusreform zwischen 2004und 2008) Informalität in lexibler Weise einsetzen, um zum gewünschten Ergebnis zu gelangen. Wenn es sich anbot, griffen sie allerdings auf die formelle Regelungsstruktur zurück, um ihre Interessen durchzusetzen. Das vielschichtige Gelecht von Formalität und Informalität, government und governance, Hierarchie und Verhandlung, das sich aus der Betrachtung ergibt, lässt sich nur auftrennen, wenn die Betrachtung jeweils getrennt für die Ebene der Gesetzgebung, Durchführung und Finanzierung vorgenommen wird.

 
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