Vorratsdatenspeicherung als Herausforderung für die Rechtsordnung
Dass der Diskurs um die Vorratsdatenspeicherung so emotionalisiert geführt wird, liegt letztlich auch daran, dass sich in ihr die Bedingungen bündeln, die das Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit verschärfen, wie es im ersten Teil dieser Arbeit dargelegt wurde. Digitale Datenverarbeitung, eine globalisierte Gesellschaftsordnung und die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus stellen die Gewährleistung von Freiheit und Sicherheit vor neue Herausforderungen. Diese bündeln sich in der Vorratsdatenspeicherung:
• Es handelt sich um ein sicherheitspolitisches Überwachungsinstrument im Vorfeld einer Straftat und einer konkreten Gefahr, die unabhängig von einem Verdacht oder Anlass jeden Nutzer von Telekommunikation trifft. Es handelt sich insofern um eine depersonalisierte Überwachungsmaßnahme, die an einer zentralen Infrastruktur der Informationsgesellschaft anknüpft.
• In dem Konzept einer Vorratsdatenspeicherung zeigt sich die zunehmend präventive Ausrichtung der Polizeiarbeit. Die Vorratsspeicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten ermöglicht es Kommunikations- und Bewegungsprofile (nahezu) von jedem Einzelnen zu erstellen. Dies ist auch deswegen so problematisch, weil die Nutzung von Telekommunikation heute Voraussetzung für die Ausübung einer Vielzahl an Grundrechten ist.
• Mit der Vorratsdatenspeicherung soll auf die Schwierigkeit reagiert werden, Handlungen im Internet und mittels Telekommunikation einer Person zuzuordnen, die sich erst unter den Bedingungen digitaler Datenverarbeitung entwickelt hat. Sie ist insofern auch der Versuch, eine aus Perspektive des Datenschutzrechts begrüßenswerte Entwicklung, nämlich hin zu datenfreiem Handeln ohne Speicherung sämtlicher Verbindungsdaten, im Namen der Sicherheit umzukehren.
• In der Vorratsdatenspeicherung spiegelt sich die Tendenz, zunehmend auf private Akteure im Rahmen der Erfüllung originär staatlicher Aufgaben zurückzugreifen.1248
• Schließlich ist die Vorratsdatenspeicherung auch deshalb ein prägnantes Beispiel für das Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit im digitalen Zeitalter, weil sie auf einer europäischen Richtlinie beruht. Sie wurde in deutsches Recht über den Umweg Europa eingeführt.
Der Ansatz, der im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung verfolgt wird – nämlich mittels einer Überwachungsinfrastruktur dafür Sorge zu tragen, dass bestimmte Daten über jeden verfügbar sind – wird neben der Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten auf Vorrat auch in Bezug auf andere Daten, wie etwa Suchmaschinen, Kontooder Fluggastdaten, diskutiert. Wenn entsprechende Konzepte realisiert werden sollten, würde sich die Befürchtung der Gegner der Vorratsdatenspeicherung verwirklichen: die Einführung der Vorratsdatenspeicherung wäre dann tatsächlich ein Dammbruch.
Es bedarf daher der näheren Betrachtung, inwieweit die Verfassung die Einführung immer neuer Vorratsspeicherungen und anderer vorsorgender Sicherheitsmaßnahmen zu verhindern vermag. Kann die Verfassung Schutz vor dem Abdriften in einen Überwachungsstaat zu gewähren? Was bedeutet das vom Bundesverfassungsgericht formulierte Verbot einer totalen Erfassung und Registrierung konkret?