Probleme bei der Kommunikation von Werten
In jedem sozialen System scheinen die Interaktion und Kommunikation wesentlich für die Vermittlung von Werten zu sein. Insbesondere zwischenmenschliche Interaktionen und intensive Beziehungen beeinflussen diesen Prozess, der aus kognitiven und emotionalen Aspekten besteht. Die Schwierigkeit ist, dass Werte sich nicht einfach weitergeben oder erwerben lassen. Auch argumentative Debatten reichen nicht für die Annahme eines Wertes aus. So reicht es z.B. nicht aus, Werte in Form von Leitbildern zu formulieren und diese niederzuschreiben, in der Annahme, dass alle Organisationsangehörigen diese dann verinnerlicht haben und sich danach verhalten. Denn Werte an sich sind lediglich nur Worte, ohne wirkliche Bedeutung. Diese muss ihnen von den Individuen zugewiesen werden. FOG et al. fassen dies treffend zusammen: „So when a company's values are presented as a list of bullet points in the Annual Report or at staff induction, they become anonymous and irrelevant, speaking to the mind but not to the heart”. Werden Werte sachlich dargestellt, wird es den Mitarbeitern schwer fallen, diese mit ihren persönlichen Erfahrungen in Beziehung zu setzen und eine Verbindung dazu aufzubauen. DENNING geht noch einen Schritt weiter und behauptet, dass Werte allein zu erklären, die nicht konsistent seitens der Unternehmensführung vorgelebt werden, sogar negativere Auswirkungen haben kann, als Werte überhaupt nicht zu erklären.
Dem radikalen Konstruktivismus zufolge vollzieht sich menschliche Wahrnehmung nicht in den Sinnesorganen, sondern im Gehirn. Was Menschen als Wirklichkeit wahrnehmen, ist „kein Abbild, aber eine Repräsentation dessen, was in der Wirklichkeit stattfindet“.Das Gehirn weist den Sinnesempfindungen Bedeutungen zu.
Wenn eine Person einen Wert in überzeugender Art und Weise vorlebt, kann diese zum Vorbild für andere werden, sodass diese Werte übernommen werden. Wichtig ist dabei auch der Faktor der Wiederholung. Werden Denk- und Verhaltensmuster wiederholt, können die Werte angeeignet werden. Eine Bindung an einen Wert hat jedoch erst dann für einen stattgefunden, wenn der Wert für einen selbst als verbindlich gilt.
Wie bereits in Kapitel 3.1 angedeutet, können klassische Kommunikationsmodelle die Komplexität der Kommunikation von Werten nicht ausreichend erfassen. Denn sie berücksichtigen nicht, was in Empfängern und Sendern während des Kommunikationsprozesses geschieht. Hinzu kommt, dass gleiche Wörter oder Bilder unterschiedliche Vorstellungen und Verhaltensweisen hervorrufen können.
Systemtheoretische Ansätze kehren die Perspektive der klassischen Modelle um und betrachten Kommunikation hingegen von der Position des Verstehens, also vom Empfänger aus. Der Sender selegiert, was er und in welcher Form er es übermitteln will. Der Empfänger wählt dann aus, was er davon empfängt und wie er es versteht. Oder anders ausgedrückt: Um zu verstehen, was gesagt wurde, muss mitgedacht werden, was nicht gesagt wurde. Kommunikation ist demnach ein Selektionsprozess, der Information, Mitteilung und Verstehen verbindet.
Abbildung 7: Modell der Kommunikation nach LUHMANN
Dabei ist aus systemtheoretischer Sicht Verständigung bloß ein mögliches Ergebnis von Kommunikation, aber nicht deren alleiniges Ziel. Der Unterschied zwischen Mitteilungen und Information liegt laut LUHMANN darin, dass Mitteilungen von Person zu Person wandern können, wohingegen Informationen nur in den Köpfen von Menschen individuell verschlüsselt existieren. Sie kann folglich nicht von Person zu Person übertragen, aber mitgeteilt werden (Abbildung 7).
Die Systemtheorie berücksichtigt zwei wesentliche Aspekte: die Unsicherheit und die Individualität. Unsicherheit besteht insofern, dass nicht nur der Sender auswählt, sondern auch der Empfänger eine Auswahl treffen muss. LUHMANN bezeichnet dieses Phänomen als „doppelte Kontingenz“.Weil der Empfänger die Bedeutung der Mitteilung autonom erstellt, muss sie nicht mit der Bedeutungszuschreibung des Senders identisch sein, denn sonst wäre sie nicht kontingent. Aber sie kann übereinstimmen.
Aufgrund dessen, dass Kommunizierende sich nie sicher sein können, vollständig übereinzustimmen, ist der Mensch nur in einem gewissen Rahmen berechenbar; hierin kommt die Individualität zum Ausdruck. Sie müssen ständig prüfen, ob sie richtig verstanden haben bzw. richtig verstanden worden sind.
Vor dem Hintergrund der vorliegenden Arbeit stellt sich allerdings die Frage, wann ein Wert als vermittelt gilt. In den vorangegangenem Abschnitt wurde gezeigt, dass Werte keine Bedeutung besitzen, sie wird ihnen zugewiesen. Daher bedarf es einer Darstellungsform bzw. Plattform, die die Vermittlungsfunktion übernimmt, wie
z.B. einer Geschichte. Wobei die Funktion nicht darin bestehen kann, aktiv zu vermitteln, sondern nur einen Impuls zu geben, den Werten eine Bedeutung zuzuschreiben. Aber dies nur, wenn die gewählte Vermittlungsform einen Unterschied darstellt.
Im Folgenden sollen Unternehmenswerte als vermittelt gelten, die ein Empfänger einem Unternehmen zuspricht, weil oder nachdem dieser durch eine Geschichte einen Unterschied festgestellt und als Mitteilung interpretiert hat.