Fachdidaktische Implikationen der vorliegenden Arbeit
Aus der theoretisch-konzeptionellen Auseinandersetzung mit Lehrervorstellungen zum Wirtschaftsunterricht und der Durchführung der Lehrervorstellungsstudie und ihren Ergebnissen lassen sich fachdidaktische Implikationen für verschiedene Felder ökonomischer Bildung ableiten. So können die inhaltlichen Ergebnisse zu den einzelnen Vorstellungsgegenstandsbereichen für die Lehrerausbildung und -weiterbildung genutzt werden. Ergebnisse wie beispielsweise,
• dass Lehrpersonen in der vorliegenden Studie das didaktische Situationsprinzip als wichtiger als das Wissenschaftsprinzip ansahen,
• dass Lehrpersonen unzulässige Verallgemeinerungen in den Vorstellungen äußerten, aber auch
• die Missverständnisse, die sich im Hinblick auf ökonomische Theorien und Modelle zeigten,
• die Vernachlässigung bestimmter Perspektiven (v. a. der Unternehmerperspektive) oder
• die Vernachlässigung der inhaltlichen Dimension bei der Durchführung von Methoden (z. B. die Notwendigkeit der Verknüpfung von Praxiskontakten mit inhaltlichen Fragestellungen)
können für die Lehre bzw. Fortbildung von Wirtschaftslehrpersonen genutzt werden. Die Ergebnisse der Studie lassen sich aufgrund des Forschungsdesigns zwar nicht verallgemeinern, sie können aber als didaktische Hinweise für die Lehre genutzt werden. Für den jeweiligen Lehr-Lern-Kontext gilt es dann, festzustellen, inwiefern diese Vorstellungen auch in der jeweiligen Lerngruppe bestehen.
Die vorliegende Studie machte deutlich, dass es nicht nur erforderlich ist, Schülervorstellungen zu erheben, um Lehr-Lern-Prozesse in der Schule subjektorientiert zu gestalten und conceptual change zu unterstützen. Dies ist ebenfalls ein Ansatz, den es für die Lehrerausbildung und -weiterbildung in der ökonomischen Bildung zu nutzen und weiterzuentwickeln gilt. Hierzu müssen Vorstellungen erfragt und in die Lehre eingebunden werden. Dazu können beispielsweise die in der vorliegenden Studie genutzen Erhebungsinstrumente oder auch nur einzelne Phasen aus dem Interview eingesetzt werden. Außerdem ist es möglich, einzelne Interviewauszüge als Gesprächsimpulse in der Lehrerausbildung zu nutzen, um etwas über die Vorstellungen angehender Lehrpersonen zu erfahren und diese Vorstellungen gemeinsam mit den lernenden (angehenden) Lehrerinnen und Lehrern zu reflektieren. Wenn ein Ziel von Lehrerbildung die reflektierende Lehrperson ist, sollte (Selbst-)Reflexion auch Teil der Lehrerausbildung sein. Das Sprechen über Vorstellungen kann hier ein geeigneter Zugang sein, der sich didaktisch nutzen und ausbauen lässt.
Deutlich wurde auch, dass die Entwicklung von Unterrichtskonzeptionen und -materialien die Vorstellungen von Lehrpersonen berücksichtigen sollte, wenn sie Einsatz im Unterricht finden wollen, und dass die fachdidaktische Entwicklung von Materialien Lehrpersonen und ihre Vorstellungen einbeziehen sollte, um eine tatsächliche didaktische Unterstützung für die Durchführung von Wirtschaftsunterricht zu sein.
In Bezug auf die bildungspolitische Ebene ökonomischer Bildung wurde deutlich, dass die Gefahr fachfremden Unterrichts stärker als bisher ernst genommen werden sollte. Die interviewten Lehrpersonen selbst wiesen darauf hin, dass eine fehlende fachwissenschaftliche und fachdidaktische Ausbildung für die jeweilige unterrichtende Lehrperson ein großes Problem darstellt und fachlich bzw. fachdidaktisch problematischen Unterricht zur Folge haben kann. Dies zeigte sich auch in den Vorstellungen der Lehrpersonen, beispielsweise in dem Verständnis bzw. den Vorurteilen gegenüber Ökonomik, aber auch in unzulässigen Verallgemeinerungen über ökonomische Zusammenhänge. Dies geht zulasten der ökonomischen Allgemeinbildung von Kindern und Jugendlichen.
Ein weiterer bildungspolitischer Aspekt ist die Doppelaufgabe der Wirtschaftslehrpersonen als Zuständige für die Berufsorientierung. Hierfür sollten angemessene Zeitdeputate zur Verfügung gestellt werden, damit das Bildungsanliegen Berufsund Studienorientierung nicht zulasten des regulären Wirtschaftsunterrichts geht.
Von bildungspolitischer Bedeutung und von Relevanz für die Lehrerausbildung und -weiterbildung ist die Integrationsaufgabe von Politik und Wirtschaft am Gymnasium. In der Vorstellungsstudie wurde deutlich, dass Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktiker beider Disziplinen sich dieser stärker als bisher stellen müssen. In den Interviews finden sich verschiedene Hinweise darauf, dass eine wirkliche gleichberechtigte Integration bisher in den Schulen nicht weit verbreitet zu sein scheint. An dieser Stelle wären gemeinsame didaktische Konzepte und Projekte in Forschung und Lehre möglicherweise hilfreich. Von den Lehrpersonen ist nicht zu erwarten, dass sie die sinnstiftende Integration zweier gleichberechtigter Disziplinen leisten, wenn diese Herausforderung auch in der Lehrerbildung nicht hinreichend erbracht wird und sie diese dort nicht erlernen können. An dieser Stelle lässt sich noch einmal trefflich auf Retzmann verweisen (2006, S. 212): „Man mutet dann den Lehrerinnen und Lehrern eine Integrationsleistung im Schulunterricht zu, die an den Universitäten selbst nicht mehr (hinreichend) erbracht wird.“
Deutlich wurde in der vorliegenden Arbeit auch, dass die Lehrerbildungsforschung in der ökonomischen Bildung im Vergleich zu anderen Fächern noch am Anfang steht. Dies gilt nicht nur für Lehrervorstellungen, sondern ebenso für weitere Kompetenzfacetten wie das Wissen oder die Motivation von Wirtschaftslehrerinnen und -lehrern und das Zusammenspiel dieser verschiedenen Dimensionen professioneller Lehrerkompetenz im Bereich ökonomischer Bildung. Mögliche weiterführende Forschungsfragen für die Lehrervorstellungsforschung in der ökonomischen Bildung werden im folgenden Fazit und Ausblick skizziert.