Methodisches Vorgehen und Operationalisierung
Bevor die empirischen Ergebnisse präsentiert werden, werden in diesem Abschnitt das methodische Vorgehen sowie die Operationalisierung der theoretischen Konstrukte diskutiert. Die Datengrundlage für die Analysen auf Individualebene bildet das Eurobarometer 75.3 (Mai 2011), welches eine Reihe von Indikatoren zur Krisenwahrnehmung enthält. Die Daten zur wirtschaftlichen und fiskalpolitischen Entwicklung wurden den Veröffentlichungen von Eurostat und der Europäischen Kommission entnommen. Um die Unterschiede in der Krisenwahrnehmung zu verdeutlichen, wird in einem ersten Analyseschritt deskriptiv untersucht, wie sich diese zwischen den Staaten unterscheidet. Mit Hilfe von Korrelationsanalysen werden diese Unterschiede in Zusammenhang mit der wirtschaftlichen und finanzpolitischen Entwicklung der Länder sowie ihren Transfers in den bzw. aus dem Haushalt der EU gesetzt. Dabei werden dem Ansatz des Benchmarking folgend, die Abweichungen der ökonomischen Situation im eigenen Land vom europäischen Mittelwert in die Analyse eingehen.
In einem zweiten Analyseschritt wird der Einfluss der individuellen Krisenperzeption auf die Unterstützung der EU im Rahmen einer Mehrebenenanalyse geschätzt, die Aufschluss über die Bedeutung der Krise für die Unterstützung der EU im Kontext der diskutierten Erklärungsansätze gibt. Auch hier werden die verwendeten Variablen am europäischen Mittelwert zentriert.
Tabelle 3 im Anhang fasst die genauen Fragestellungen der verwendeten Variablen zusammen. Um die Krisenperzeption der Bevölkerung zu messen, werden vier Variablen verwendet, die sich auf die Wahrnehmung der ökonomischen Situation der EU sowie der europäischen Krisenpolitik beziehen. Die erste Variable fragt nach der Einschätzung der Folgen der Krise für den Arbeitsmarkt, die zweite nach einer Einschätzung der wirtschaftlichen Situation innerhalb der EU. Für die Bewertung der ökonomischen Situation werden damit zwei Variablen in die Untersuchung einbezogen, die sich zum einen auf die nationale Umwelt, zum anderen auch auf die Situation in der gesamten EU beziehen. Für die Bewertung der Krisenpolitik werden zwei Variablen verwendet. Die erste fragt sehr allgemein nach der Krisenperformanz der EU, die zweite nach der Einschätzung, ob die EU der geeignete Akteur für die Bewältigung der Krise ist.
Die abhängige Variable des Mehrebenenmodells wird durch einen Index aus sechs Indikatoren repräsentiert[1], die sich auf die Regime-Ebene der EU beziehen. In den Index geht erstens die „Membership“-Variable ein, die die am häufigsten verwendete Variable zur Messung der Unterstützung der EU darstellt. Zweitens wird eine Variable verwendet, die die Befragten nach ihrem Bild von der EU fragt. Drittens werden in den Index vier Items einbezogen, die danach fragen, ob die Befragten für oder gegen eine gemeinsame Währung, eine gemeinsame Verteidigungspolitik, eine gemeinsame Außenpolitik und zukünftige Erweiterungen der EU plädieren. Der gebildete Index kann Werte zwischen null und zehn annehmen.
In Arbeiten, die sich mit der Unterstützung der Europäischen Union auseinandersetzen, werden eine Reihe unterschiedlicher Operationalisierungen der Unterstützung der EU verwendet. Während einige Arbeiten ausschließlich die „Membership“-Frage als abhängige Variable verwenden, beziehen andere Autoren neben dieser auch die Frage nach der Integrationstiefe in die Untersuchung ein (Marks und Hooghe 2003). Andere Autoren, die sich zumeist mit der Frage des Euroskeptizismus[2] auseinandersetzen, unterscheiden zwischen instrumentellem und politischem Euroskeptizismus, wobei ersterer durch die „Membership“-Variable und die zweite Form durch Fragen nach der Integrationstiefe repräsentiert wird (Lubbers und Scheepers 2005, 2010; Schell in diesem Sonderheft).
In der vorliegenden Untersuchung wird eine abhängige Variable gebildet, die sowohl die Frage nach der „instrumentellen“ Unterstützung als auch die Frage nach der „politischen“ Unterstützung, d. h. der „Integrationstiefe“, umfasst. Diese Vorgehensweise rechtfertigt sich zum einen dadurch, dass vorherige Untersuchungen, die die Integrationstiefe als abhängige Variable verwenden, gezeigt haben, dass die Einbeziehung der Membership-Variablen die Ergebnisse nicht verändert (Rohrschneider 2002). Diese Ergebnisse verweisen darauf, dass die vorgenommene Indexbildung als robust zu erachten ist. Gabel und Palmer (1995), die eine ähnliche Herangehensweise gewählt haben, rechtfertigen ihr Vorgehen weiterhin dadurch, dass „by utilizing both survey questions, we create a more precise and discriminating measure of EC support that is less plagued by the statistical problems associated with measurement error“ (Gabel und Palmer 1995, S. 9). Sie verwendeten für ihre Operationalisierung die „Membership“-Variable sowie die Frage nach der Etablierung eines europäischen Bundesstaates. Zudem spricht für die vorgenommene Operationalisierung auch, dass in der Diskussion der Krise sowohl der Nutzen der Mitgliedschaft des eigenen Landes als auch die Frage nach weiteren Integrationsschritten behandelt wird und die gewählte Vorgehensweise es ermöglicht, die Bandbreite dieser Diskussion in einer Variablen widerzuspiegeln.
Als unabhängige Variablen gehen vier Kontrollvariablen in die Analyse ein: das Bildungsniveau, das Alter, ein Indikator, der sich auf die Identität bezieht, sowie das Vertrauen in europäische Institutionen, welches durch einen Index aus vier Items repräsentiert wird, der Werte zwischen null und vier annehmen kann[3]. In die präsentierten Modelle gehen jeweils nur diejenigen Befragten ein, die gültige Antworten auf alle abgefragten Items gegeben haben[4].
Die Analyse der Ergebnisse des Mehrebenenmodells erfolgt in einzelnen Schritten. Das erste Modell schätzt die Unterstützung der EU für die Kontrollvariablen. Im nächsten Schritt werden die Kontextvariablen in das Modell eingefügt. Zuletzt werden dann die Variablen der Krisenperzeption ins Modell gegeben, um den Einfluss der Krisenperzeption im Kontext alternativer Erklärungsmodelle zu begreifen. Das Vereinigte Königreich sowie Luxemburg wurden für die Schätzung des Mehrebenenmodells aus der Untersuchung ausgeschlossen, so dass sich die Ergebnisse lediglich auf 25 der 27 Mitgliedsstaaten der EU beziehen[5].
- [1] Cronbachs a = 0,726.
- [2] Die Arbeiten zum Euroskeptizismus verwenden in der Regel dieselben Variablen wie Arbeiten zur Unterstützung der EU. Die Skalen werden lediglich mit umgekehrter Kodierung verwendet.
- [3] Cronbachs a = 0,926.
- [4] Durch diese Strategie gehen zwar eine Reihe von Informationen verloren, da sich die Fallzahl um gut ein Drittel verringert. Jedoch unterscheiden sich Schätzungen, in denen die fehlenden Werte unter Anwendung multipler Imputation ersetzt wurden (Ergebnisse nicht ausgewiesen) nur geringfügig von den hier präsentierten Werten, so dass diese als robust gelten können. Dies deckt sich mit den Erkenntnissen anderer auf dem Eurobarometer basierenden Studien, die ebenfalls nur geringfügige Unterschiede zwischen Modellen mit listwise deletion und imputierten Werten berichten (Lubbers und Scheepers 2005).
- [5] Diese Entscheidung ist dem Umstand geschuldet, dass das Vereinigte Königreich mit seiner extrem europaskeptischen Bevölkerung die Schätzungen auf Individualebene stark verzerrt, was für das kleine wirtschaftlich weit über dem Durchschnitt rangierende Luxemburg auf Kontextebene gilt.