Zum Verständnis von Religiosität und Spiritualität

Das Verständnis der beiden Begriffe Religiosität und Spiritualität wird sehr heterogen in der Wissenschaft diskutiert.

Im Rahmen dieser Arbeit möchte ich nicht die unterschiedlichen Definitionen diskutieren und auf ihre spezifischen Anliegen eingehen, sondern ein theoretisches Verständnis von Religiosität und Spiritualität einführen, das ich im Kontext dieser Arbeit als sinnvoll und hilfreich erachte:

„Religiosität und Spiritualität werden verstanden als der jeweilige innere Bezug auf etwas Jenseitiges. Religiosität stellt Glaubensinhalte und religiös-spirituelle Praxis in Bezug auf etwas Jenseitiges in den Vordergrund.

Spiritualität bezieht sich auf Erfahrungen des Jenseitigen, also Transzendenzerfahrungen. In der religiös-spirituellen Entwicklung wird Jenseitiges durch Glaubensund Erfahrungsprozesse immer mehr angeeignet, so dass das Diesseitige zunehmend durchdrungen wird von dem, was ursprünglich jenseits war. Dieser Verinnerlichungsprozess gipfelt in der Non-Dualität“ (Joachim Galuska zitiert in einem Fortbildungsskript von Dorothea Galuska einer Fortbildungsreihe zu transpersonaler Psychologie. 2005, o. S.).

Die Differenzierung, die hier vertreten wird, bezieht sich also zum einen auf das, was Menschen glauben und wie sie ihren Glauben praktisch ausüben bzw. diesen durch Rituale oder Gegenstände sichtbar machen; und zum anderen auf die individuellen Erfahrungen, die Menschen in einem religiösen Zusammenhang machen und entsprechend interpretieren.

Der Theologe Friedrich Schweitzer beschreibt den Begriff Spiritualität hingegen (eingeschränkt auf einen christlichen Hintergrund, der allerdings ohne Schwierigkeiten auch auf andere religiöse Kontexte erweiterbar ist) wie folgt:

„Spiritualität [sei; ergänzt durch d. Verf.] ein persönliches Interesse, das nicht an Institutionen, formelle Mitgliedschaft, traditionelle Autoritäten usw. gebunden ist. In diesem Zusammenhang verweist Spiritualität häufig auf einen Typus von Religion, der als individualisiertes Christsein ohne Beziehung zu einer Gemeinde verstanden werden kann.“ (Schweitzer, 2003, S. 24).

An anderer Stelle verwendet der Autor als Synonym für Spiritualität den Begriff

„persönliche Religion“ (ebd., S. 76) und spricht von einer „Kluft zwischen Kirche und individueller Religion“ (ebd. S. 85).

Hubert Knoblauch sieht Spiritualität im Subjekt selbst begründet und meint, dass die Menschen „die eigenen Transzendenzerfahrungen als Quelle, Evidenzund ›Güte‹-kriterium der eigenen Religiosität“ (Knoblauch, 2004, S. 362) ansehen. Weiter erklärt er Spiritualität als „quasi religiöse Sonderform der Subjektivierung“ (ebd., S. 361), die Gemeinschaftserfahrung nutze, um spirituelle Erfahrungen zu machen, ohne an sie gebunden oder von ihr oder institutionellen oder traditionellen Rahmen abhängig zu sein. Er weist zudem darauf hin, dass dies durchaus kein neues Phänomen sei, sondern historisch im Kontext von ›Mystik‹ zu verorten sei (vgl. ebd.).

Für Schweitzer ist individuelles religiöses Erleben per se getrennt von der Einbindung in eine religiöse Gemeinde oder auch Gemeinschaft. An anderer Stelle betont er jedoch, dass es für die Postmoderne ganz wichtig sei zur Entwicklung einer gesunden Persönlichkeit, wozu Religion und Religiosität gehöre, Kindern Begleitung (die nicht unbedingt in einer Gemeinde anzusiedeln ist) bei der Auseinandersetzung mit dem ureigenen Erleben von Religiosität anzubieten, sie hier also als Subjekt ernst zu nehmen (vgl. Schweitzer, 2003, S. 54).

Es stellt sich nun die Frage, wie religiöses Erleben, das verbunden ist mit entsprechenden als religiös empfundenen Gefühlen, von nicht-religiösem Erleben zu unterscheiden ist. Hier vertritt Grom die Ansicht, dass allein die „kognitive Komponente, d.h. ( ) ihre Bewertungen, Überzeugungen und Inhalte“ (Grom, 2007, S. 189) den Unterschied ausmacht, d.h. die innere, persönliche Ausrichtung ist auf eine transzendente Ebene gerichtet. Religiöses Erleben benötigt lt. Grom eine Einbindung in eine religiöse Tradition mit entsprechenden Ritualen und Formen der Praxis (vgl. ebd.).

 
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