Daten und Operationalisierung

Die Datenbasis für die folgende Untersuchung bildet das im Rahmen der GLES (German Longitudinal Election Study) erhobene Langfrist-Online-Tracking 14, wobei 1.433 Personen durch BACES befragt wurden (Rattinger et al. 2011). Die Umfrage fand Ende Mai 2011 statt, als das Thema „Eurorettung“ vergleichsweise salient war: Zum einen musste Portugal als drittes Euromitglied nach Griechenland und Irland Milliardenhilfen der europäischen Partner in Anspruch nehmen. Zum anderen wurde der Unmut über das Vorgehen bei der Eurorettung in Teilen der schwarz-gelben Koalition immer deutlicher vernehmbar. Mehrere Abgeordnete um den FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler stellten in Aussicht, weitere Finanzhilfen für überschuldete Euromitgliedsländer nicht mehr mittragen zu wollen.

Um die Zustimmung zur gemeinsamen Währung unter der deutschen (Online-) Bevölkerung abzubilden, wird auf eine Batterie von Aussagen zum Euro und zur Rettungspolitik der EU zurückgegriffen. Aus zwei der darin vorkommenden Aussagen, nämlich „Der Euro bleibt auch in Zukunft eine stabile Währung“ sowie „Die Einführung des Euro ist bisher ein großer Erfolg“, wurde ein Index gebildet (Cronbachs a = 0,80). Mit den beiden Variablen sollen zum einen die affektive Bindung an den Euro (Erfolg) und zum anderen Erwartungen zur künftigen Entwicklung der gemeinsamen Währung (Stabilität) abgebildet werden, was insbesondere vor dem Hintergrund der Staatsschulden- und Eurokrise von Interesse ist. Befragte, die zu beiden Aussagen keine substantiellen Angaben machen konnten, wurden aus der Analyse ausgeschlossen. Lag für eine der beiden Variablen ein gültiger Wert vor, so wurde dieser als Haltung des Befragten zum Euro aufgefasst und in der Untersuchung berücksichtigt.

Die sozioökonomische Position wird durch den Beruf des Befragten dargestellt. Es wird vermutet, dass dabei insbesondere Arbeiter als tendenziell geringer Qualifizierte von Arbeitsplatzverlagerungen bedroht sind. Zwar lassen sich sicherlich auch Arbeiter finden, die von der gemeinsamen Währung profitieren, etwa weil sie in einem kapitalintensiven und exportorientierten Betrieb beschäftigt sind, oder die von der Euroeinführung nicht betroffen sind, weil ihr Arbeitsplatz fest an einen bestimmten Ort gebunden ist. Leider lässt die Datenlage eine feinere Unterscheidung jedoch nicht zu. Zur Ermittlung der Höhe des Einkommens wird das elfstufig abgefragte monatliche Haushaltsnettoeinkommen in Euro herangezogen.

Bei der wirtschaftlichen Lage sollten sowohl egozentrische als auch soziotropische Erwartungen eine Rolle spielen. Dazu wurden die Befragten gebeten, Auskunft über ihre Einschätzungen zur eigenen und zur allgemeinen wirtschaftlichen Lage in einem Jahr zu machen.1 Da diese Wahrnehmungen insbesondere dann einen Einfluss entfalten sollten, wenn die Politik der EU als maßgeblich für die wirtschaftliche Entwicklung angesehen wird, werden zusätzlich Interaktionen aus der Verantwortungszuschreibung der EU und den wirtschaftlichen Erwartungen gebildet.2 Der Indikator zur Verantwortlichkeit der EU weist allerdings einige Schwächen auf: So wurde er beispielsweise nur für die retrospektive allgemeine wirtschaftliche Lage erhoben. Nun sollten sich zwischen der Verantwortlichkeitszuschreibung für die retrospektive und für die prospektive allgemeine wirtschaftliche Lage keine fundamentalen Unterschiede ergeben. Bei der persönlichen wirtschaftlichen Lage kann man allerdings nicht in jedem Fall davon ausgehen, dass Leute, die die EU für verantwortlich für die gesamtwirtschaftliche Situation in der Vergangenheit halten, dies auch für die zukünftige persönliche Lage tun.

Der Einfluss nationaler und europäischer Identitäten wird darüber erhoben, wie stark sich ein Befragter mit Deutschland bzw. der EU sowie Europa insgesamt verbunden fühlt.3 Die Verbundenheit mit der Bundesrepublik geht vierstufig, die europäische Identität als Index aus den beiden Variablen zur Verbundenheit mit Europa und der EU (Cronbachs a = 0,875) siebenstufig in das Modell ein. Zwar könnte man mit gutem Grund argumentieren, dass die beiden Variablen zur europäischen Verbundenheit abgrenzbare Formen von europäischer Identität abbilden, nämlich eine staatsbürgerliche Identität als Verbundenheit mit den politischen Institutionen der EU auf der einen und eine kulturelle Identität auf der anderen Seite (Bruter 2003, S. 1155–1156). Allerdings berührt die gemeinsame Währung sowohl politische als auch kulturelle Aspekte, so dass eine Zusammenfassung unproblematisch scheint. Für die Position der Befragten auf der Isolationismus- und der Multilateralismusdimension wird auf Items zurückgegriffen, mit denen die Befragten zum Ausdruck bringen konnten, ob sie wünschen, dass sich Deutschland nicht um weltpolitische Fragen kümmere, sondern sich auf Probleme im eigenen Land konzentriere bzw. ob sich Deutschland bei internationalen Krisen mit den Verbündeten auf eine gemeinsame Haltung einigen solle[1].

Als Hilfen bei der Entscheidungsfindung sollten insbesondere die Signale der nahestehenden Parteien relevant sein. Um diese Elitensignale abbilden zu können, werden Einschätzungen zu den Haltungen der im Bundestag vertretenen Parteien bezüglich der europäischen Einigung herangezogen. Dabei sollte angegeben werden, ob die einzelnen Parteien die Integration vorantreiben möchten oder ob den Parteien die europäische Einigung schon zu weit ginge[2]. Als Elitensignal wird dem einzelnen Befragten die individuell wahrgenommene Position der jeweiligen Identifikationspartei zugewiesen. Wenn allerdings nur diese Befragten ins Modell aufgenommen werden, hätte dies eine Reduzierung der Fallzahl um die Hälfte zur Folge. Denn zum einen weist ein knappes Drittel der Teilnehmer keine Parteiidentifikation auf, zum anderen sehen sich zwei von fünf Befragten außer Stande, irgendeine Einschätzung zu den Parteihaltungen in der Europafrage abzugeben[3]. Daher wurde in einem zweiten Schritt Befragten ohne Parteibindung die Position ihrer bestbewerteten Partei zugespielt. Denn der mit dieser Partei verbundene positive Affekt sollte die Akzeptanzwahrscheinlichkeit entsprechender Signale steigern. Den verbliebenen Befragten mit Parteipräferenz wurde in einem dritten Schritt der Mittelwert ihrer Identifikationspartei/bestbewerteten Partei zugewiesen, welcher sich aus den Einschätzungen der Befragten aus Schritt eins ergibt. In einem letzten Schritt schließlich erhielten die Befragten, die keiner Partei zugeordnet werden konnten, den Mittelwert aller wahrgenommenen Parteisignale als vermutlich wahrgenommenes Elitensignal[4].

Um den Einfluss von Interesse und Wissen auf die Wirkung von Elitenhinweisen zu überprüfen, wurden Interaktionsterme aus Elitensignalen, Interesse an europäischer Politik und Wissen der Befragten zu Themen der europäischen Integration gebildet. Allerdings wurde kein objektives Wissen erhoben, sondern die Befragten gaben Auskunft darüber, wie sehr sie über die Inhalte des Vertrags von Lissabon Bescheid wüssten[5]. Da es sich um ein recht komplexes Thema handelt, das darüber hinaus zum Zeitpunkt der Umfrage nicht mehr auf der Agenda stand, sollte es geeignet sein, um den Grad der generellen Aufmerksamkeit für europäische Themen angemessen abzubilden.

Schließlich wurden noch die Variablen Alter, Geschlecht und Bildung als Kontrollvariablen aufgenommen, da zu erwarten ist, dass unterschiedliche Sozialisationshintergründe durchaus einen Einfluss auf die Haltung zum Euro haben können. Insbesondere Bildung hat sich in der Vergangenheit als starker Prädiktor von Einstellungen zur europäischen Integration und zum Euro erwiesen, wobei unklar bleibt, ob der Effekt auf höhere kognitive Fähigkeiten und veränderte Wertvorstellungen oder auf die besseren Chancen Hochqualifizierter in einem integrierten Europa zurückzuführen ist (z. B. Gabel 1998; Inglehart 1970). Mit dem Alter sind unterschiedliche Sozialisationserfahrungen verknüpft. So ist zu erwarten, dass jüngere Menschen zum einen durch ihre hohe Mobilität in besonderem Maße vom Euro profitieren. Zum anderen haben sie womöglich weniger starke Bindungen an die D-Mark aufgebaut, was ebenfalls zu einer höheren Befürwortung der gemeinsamen Währung führen sollte. Alte Bürger, deren prägende Jugendjahre in die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft und die entbehrungsreiche Nachkriegszeit fielen, sollten den Euro als Ausdruck der Einigung Europas ebenfalls begrüßen. Daher wird das Alter in quadrierter Form berücksichtigt. Kontrolliert wird darüber hinaus auch die Haltung zur europäischen Integration. Dabei sollten die Befragten analog zu den Einschätzungen der ihnen nahestehenden Parteien angeben, ob die europäische Einigung bis hin zu einer gemeinsamen Regierung vorangetrieben werden solle oder ob die europäische Einigung schon jetzt zu weit ginge. Bei dieser Variable ist es aber mehr als fraglich, ob sie der Haltung zum Euro noch vorgelagert ist. Vielmehr stellt sie wohl eine summative Bewertung der Europäischen Union dar, in die auch Einstellungen zur gemeinsamen Währung einfließen. Aufnahme in das Modell findet sie daher nicht, weil sie zur Erklärung von Einstellungen zum Euro erhellend beitragen könnte, sondern weil ein beachtlicher Zusammenhang zwischen der eigenen Haltung zur EU und der wahrgenommenen Position der nahestehenden Partei besteht (r = 0,49). Dieser kann zum Teil natürlich auf die Übernahme von Elitensignalen durch die Bürger zurückgeführt werden. Jedoch kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass der Effekt auf dem responsiven Verhalten der Eliten beruht oder manche Befragte die eigene vage Haltung zu Europa auf die jeweils nahestehende Partei übertragen (Conover und Feldman 1989). Um die Wirkung von Elitensignalen nicht zu überschätzen, empfiehlt sich daher die Aufnahme dieser Kontrollvariable in das Modell.

Abb. 1 Aussagen zum Euro. (Quelle: GLES_Langfrist-Online-Tracking T14. N= 1.136)

  • [1] Die Befragten sollten angeben, wie ihre Haltung zu einigen Aussagen zur Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands auf einer fünfstufigen Skala von „stimme überhaupt nicht zu“ bis „stimme voll und ganz zu“ ist. Die Isolationismusvariable lautet „Deutschland sollte sich nicht um weltpolitische Fragen kümmern, sondern sich auf Probleme im eigenen Land konzentrieren“. Multilaterale Grundhaltungen wurden durch die Aussage „Bei einer internationalen Krise sollten sich Deutschland und seine Verbündeten auf eine gemeinsame Haltung einigen“ erhoben.
  • [2] Für die sechs im Bundestag vertretenen Parteien wurde jeweils gefragt: „Nun geht es um das Thema europäische Einigung. Sollte die europäische Einigung so vorangetrieben werden, dass es bald eine gemeinsame europäische Regierung gibt oder geht die europäische Einigung schon jetzt viel zu weit? Wie stehen Ihrer Meinung nach die Parteien dazu?“ Mit Hilfe einer elfstufigen Skala konnte man angeben, wo sich die Parteien zwischen den Extrempunkten „Europäische Einigung so vorantreiben, dass es bald eine gemeinsame Regierung gibt“ und „Europäische Einigung geht jetzt schon viel zu weit“ befinden.
  • [3] Ein Fünftel der Befragten kann sich auch selbst nicht auf der Integrationsskala einordnen, was auf einen insgesamt niedrigen Interessens- und Kenntnisstand in der Bevölkerung hindeutet. Im Verlauf der weiteren Analysen werden diese Personen ausgeschlossen, wobei sich bei deren Einbeziehung keine bedeutsamen Veränderungen der Ergebnisse ergeben.
  • [4] Bei Ausschluss von Fällen, denen kein eindeutiges Elitensignal zugeordnet werden konnte, bleiben zumindest die Effekte der Elitenhinweise substantiell gleich.
  • [5] Da diese Variable stark mit dem allgemeinen politischen Interesse, der Bildung sowie der Bereitschaft und Fähigkeit zusammenhängt, Parteipositionen zu verschiedenen Sachfragen richtig einzuordnen, kann man darauf vertrauen, dass tatsächlich politisches Wissen zur EU gemessen wurde. Die Befragten sollten dabei Auskunft darüber geben, ob sie schon einmal etwas vom Vertrag von Lissabon gehört hätten. Als Antwortmöglichkeiten standen „Ja, und ich weiß im Großen und Ganzen über den Inhalt Bescheid“, „Ja, aber ich weiß sehr wenig über den Inhalt“, „Ja, aber ich kenne den Inhalt nicht“ und „Nein“ zur Verfügung.
 
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