Empirische Ergebnisse

Die verwendeten abhängigen und unabhängigen Variablen sind in Tab. 1 zusammengefasst. Dabei fällt zunächst auf, dass der Durchschnitt der Bevölkerung in Ungarn im Verlauf der Krise tendenziell euroskeptischer wird (stärker unter den logischen

Tab. 1 Deskriptive Statistiken der abhängigen und unabhängigen Variablen. (Quelle: Eigene Umfragen in Ungarn und der Slowakei)

Mittelwert

Sd

Median

Reichweite (Min/Max)

N

Ungarn

Veränderung der EU-Einstellung

4,3

1,9

5

0/10

956

Negativer Effekt der Krise

0,84

1

0/1

1.012

Relatives Vertrauen in EU Institutionen

10,48

3,1

0

0/20

938

Rigidität

0,28

0

0/1

982

Risiko-Aversion

0,13

0

0/1

1.012

Slowakei

Veränderung der EU-Einstellung

4,7

2,2

5

0/10

965

Negativer Effekt der Krise

0,85

1

0/1

1.002

Relatives Vertrauen in EU Institutionen

10,40

2,3

10

0,5/20

918

Rigidität

0,33

0

0/1

966

Risiko-Aversion

0,20

0

0/1

1.002

Skalenmittelwert 5 fällt) als dies in der Slowakei der Fall ist. Sowohl die negative Wahrnehmung der Kriseneffekte als auch das relative Vertrauen in die europäischen Institutionen sind in beiden Ländern vergleichbar ausgeprägt. Darüber hinaus ist erwähnenswert, dass die Anzahl an Personen, die risiko-avers sind, in der Slowakei deutlich höher ist als in Ungarn (20 versus 13 %), während dies für die Messung der Rigidität so nicht nachvollzogen werden kann.

Da unsere zentrale abhängige Variable, die Entwicklung der Einstellung der Befragten gegenüber der EU elf Ausprägungen hat, berechnen wir eine einfache OLS-Regression in unterschiedlichen Modellvarianten. Zunächst berechnen wir einfache Modelle, in denen jeweils nur die Variablen der H1 oder/und H2 sowie die Kontrollvariablen einbezogen werden. Diese Modelle zeigen zum einen, dass H1 von den Daten unterstützt wird. Die Interaktion zwischen der Wahrnehmung eines negativen Einflusses der Finanzkrise und dem relativen Vertrauen in die EU hat einen positiven, hoch signifikanten und relativ starken Effekt auf die abhängige Variable.

D. h., Bürger, die sich der negativen Wirkung der Finanzkrise bewusst sind, entwickeln stärker positive Einstellungen gegenüber der EU, wenn sie deren Institutionen mehr vertrauen als den nationalen politischen Akteuren. Darüber hinaus hat die Wahrnehmung der negativen Effekte der Finanzkrise alleine einen negativen und ebenfalls signifikanten Effekt auf die abhängige Variable. Dies interpretieren wir als den negativen Effekt der Finanzkrise auf die EU-Einstellung von Befragten, welche in ihrem Vertrauen keinen Unterschied zwischen nationalen und europäischen Institutionen aufweisen bzw. den europäischen Institutionen weniger vertrauen als den nationalen. Zum anderen zeigen die einfachen Modelle hinsichtlich H2, dass offenkundig nur die Risiko-Aversion der Befragten einen signifikanten und wie erwartet negativen Effekt auf die abhängige Variable ausübt. Dies ändert sich in Modell 4, in dem wir Länder-Interaktionseffekte in die Gleichung mit einbezogen haben. Dieses Modell unterstützt weiterhin die in H1 erwarteten Effekte, auch wenn diese stärker in Ungarn im Vergleich zur Slowakei stattzufinden scheinen. Hinsichtlich der bislang nicht-signifikanten Effekte der Rigidität wird deutlich, dass diese Variable in Ungarn und in der Slowakei unterschiedliche, aber höchst signifikante und starke Effekte hat. Während in Ungarn der von uns erwartete negative Effekt auf die abhängige Variable eintritt, ist dies in der Slowakei umgekehrt der Fall. Befragte mit eher geschlossenen Weltbildern werden in der Slowakei eher EU-freundlicher. Eine plausible Erklärung hierfür ist theoretisch schwierig, findet sich jedoch möglicherweise im Verhalten der politischen Elite in der Slowakei, besonders in der ungewöhnlichen Rolle der Partei SMER und des Parteiführers und jetzigen Regierungschefs Robert Fico. Obwohl sie sich als eher linksorientierte und stark populistische Partei positioniert und mit über 40 % Stimmenanteil bei der Wahl 2012 breite Wählerschichten ansprach, sind Partei und Parteiführer traditionell relativ europa-freundlich (Spiegel 2012). Im Wahlkampf konzentrierte sich die Kritik SMERs vor allem auf die vorangegangene Mitte-RechtsRegierung, welcher sie Inkompetenz und einen Ausverkauf nationaler Interessen unterstellte. Damit agierte und agiert SMER zwar einerseits als populistische Partei, welche rigidere Befragte anspricht und diese dazu bringt, den von der Regierung Fico bereit gestellten cues zu folgen. Im Gegensatz zu den wesentlich EU-kritischeren Positionen Orbans deuten, deuten die von der slowakischen Regierung ausgesendeten cues andererseits aber stärker in eine EU-freundliche Richtung (Tab. 2).

Tab. 2 OLS Regression: Erklärung der Veränderung der EU-Einstellung während der Krise. (Quelle: Eigene Umfragen in Ungarn und der Slowakei)

Modell 1

Modell 2

Modell 3

Modell 4

Negativer Effekt der Krise

1,94**

2,05***

1,99***

(0,61)

(0,61)

(0,60)

Relatives Vertrauen in EU-Institutionen

0,04

0,03

0,03

(0,05)

(0,05)

(0,05)

Interaktion Kriseneffekt/relatives Vertrauen

0,14**

0,15**

0,17**

(0,05)

(0,05)

(0,05)

Interaktion Land Kriseneffekt/relatives

0,04

Vertrauen

(0,02)

Risiko-Aversion

0,38**

0,32*

0,31

(0,14)

(0,15)

(0,21)

Interaktion Land Risiko-Aversion

0,05

(0,29)

Rigidität

0,03

0,04

0,47***

(0,11)

(0,11)

(0,14)

Interaktion Land Rigidität

0,99***

(0,22)

Geschlecht

0,16

0,18

0,16

0,16

(0,10)

(0,10)

(0,10)

(0,10)

Bildung

0,03

0,05

0,03

0,02

(0,05)

(0,05)

(0,05)

(0,05)

Ideologie

0,02

0,06*

0,02

0,02

(0,02)

(0,02)

(0,02)

(0,02)

Alter

0,05

0,06*

0,04

0,05

(0,03)

(0,03)

(0,03)

(0,03)

Land

0,54***

0,50***

0,56***

0,60*

(0,10)

(0,10)

(0,10)

(0,25)

Constant

4,26***

4,11***

4,32***

4,31***

(0,62)

(0,22)

(0,63)

(0,61)

Modellgüte (R2)

8,1 %

3,2 %

8,8 %

10,1 %

N

1.669

1.740

1.652

1.652

Robuste Standardfehler in Klammern

*p < 0,05; **p < 0,01; ***p < 0,001

Diskussion der empirischen Ergebnisse

Um unsere Ergebnisse weiter abzusichern, nahmen wir einige Robustheits-Tests vor. Zunächst haben wir die Daten auf Multikollinearität getestet, aber – außer für die Interaktionen – keine Anzeichen dafür gefunden. Zusätzlich erstellten wir eine Korrelationsmatrix aller unabhängigen Variablen. Außer der Korrelation zwischen den an Interaktionen beteiligten Einzelvariablen und den dazugehörigen Interaktions-Variablen fanden sich keine substantiellen Zusammenhänge zwischen den Variablen. Um auszuschließen, dass die metrische Interpretation der elfstufig skalierten abhängigen Variable in der OLS-Regression problematisch ist, berechneten wir Modell 4 auch als ordinales logistisches Regressionsmodell. Dies erbrachte keine Veränderung der Resultate. Wir berechneten alle Modelle nochmals ohne die Kontrollvariablen. Auch dies änderte nichts an den hier präsentierten Ergebnissen. Insgesamt lässt sich daher aus unserer Sicht vorsichtig konstatieren, dass der Verwundbarkeits-Perspektive, deren Effekte wir in Hypothese 1 ableiteten, eine substantielle Erklärungskraft zugesprochen werden kann. Im Gegensatz dazu ließ sich für die in Hypothese 2 erwarteten Effekte der ‚Nationalist backlash'-Perspektive nur andeutungsweise empirische Unterstützung finden. Schließlich konnten wir Belege für nach Ländern variierende Effekte auf individueller Ebene finden, diese folgen allerdings nicht oder nur in begrenztem Maße jenen Erwartungen, die wir in Hypothese 3 aufgestellt hatten.

 
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