Forschungsdesiderate. Spiritualität und Religion von Frauen als Thema in Wissenschaft und Forschung

Wie oben bereits angemerkt, fehlt der internationalen Studie des Religionsmonitors der gendersensible Blick. Bezogen auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung hinsichtlich mädchenund frauenspezifischer religiöser Entwicklung und Sozialisation ist dies keine Ausnahme. Friedrich Schweitzer spezifiziert:

„Und schließlich wird die religiöse Dimension von der Allgemeinen Pädagogik und von der sozialwissenschaftlichen Frauenforschung häufig ebenfalls ausgespart. [] Wichtige Fragen zur geschlechtsspezifischen religiösen Entwicklung sind noch immer kaum untersucht“ (Schweitzer, 2007. S. 186f; kurs. i. Orig.).

Schweitzer expliziert, dass es bis dato zumindest wissenschaftliche Belege gebe, welche die enge Verbindung von weiblicher Lebenserfahrung und religiöser Entwicklung verdeutlichen und aufgrund derer von geschlechtsspezifischer religiöser Entwicklung und Sozialisation gesprochen werden könne, die jedoch wegen fehlender empirischer Befunde keine entsprechende Theoretisierung zulassen (vgl. ebd., s. 196f). Auch biete die Psychoanalyse Hinweise für eine unterschiedliche Entwicklung von Mädchen und Jungen, insbesondere an den „Knotenpunkten der religiösen Entwicklung“ (ebd., S. 190).

Forschungskonzepte, die empirisch in der Biographieforschung Religiosität und Geschlecht bzw. hier Frauen, angesiedelt sind, fehlen demnach ebenfalls. Bettina Dausien stellt die Foki Arbeit, Migration, Politik und gesellschaftlicher Wandel, Generationenthema, Körperund Leiblichkeit, historische Frauenforschung fest, aber auch das Spektrum Bildungsprozesse und -erfahrungen (vgl. Dausien, 2010, S. 365f). In dem letztgenannten Bereich ist diese Arbeit zu verorten.

Grundsätzlich ist es so, dass Religiosität ein herausforderndes Thema für die Sozialwissenschaft darstellt, denn

„von einer empirischen Sozialwissenschaft erhofft man sich klare Fakten über innerseelische und zwischenmenschliche Beziehungen. Weil aber die Beziehung zu einer übermenschlichen, göttlichen Wirklichkeit höchst spekulativ erscheint, wird religiösen Fragen nach wie vor häufig ausgewichen – besonders im vernunftbetonten Deutschland“ (Utsch, 2006, S. 298).

Birgit Heller stellt in ihrem Beitrag im Handbuch zur Frauenund Geschlechterforschung fest:

„Darüber hinaus ist die herkömmliche Forschung und Darstellung von Religionen selbst überwiegend durch eine androzentrische Perspektive gekennzeichnet. Die wenigen Studien, die sich mit dem Thema Frau auseinandergesetzt haben, behandeln Frauen als externalisierte Forschungsobjekte[ ]. Frauen als religiöse Subjekte kommen nicht zur Sprache und der jeweilige konzeptuelle Rahmen einer religiösen Tradition mit den ihm zu Grunde liegenden geschlechtsspezifischen Vorannahmen wird keiner kritischen Analyse unterzogen“ (Heller, 2010, S. 713).

Die aufgezeigte(n) Forschungslücke(n), Frauen in ihren Identitätsbildungsprozessen, in ihrer sozialen Rolle als Frau und als religiöser Mensch wissenschaftlich in den Fokus zu nehmen, möchte ich mit meiner Studie aufgreifen: Die ausgewählten Interviewpartnerinnen schildern rückblickend und im Kontext der Interviewsituation ihre biographische Entwicklung. Sie bewerten und ordnen ihren Prozess selbst ein und beziehen sich insbesondere auf ihre spirituell-religiöse Entwicklung. Um die Explikation spezifischer Lernprozesse, für welche die religiöse Ebene relevant ist, soll es in dieser Studie gehen. Dies stellt eine besondere Herausforderung dar, „weil ein wesentlicher Bestandteil dieser Erfahrungen – Gott oder übermenschliche Wirklichkeit – der wissenschaftlichen Betrachtungsweise nicht zugänglich ist“ (Utsch, 2006, S. 297).

 
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