Bringt es etwas, länger zu schlafen als gewöhnlich?
Absolut - zumindest, wenn man bisher zu wenig geschlafen hat. Eine aktuelle Studie von Michael Scullin, Professor an der Baylor Universität in Texas, macht dies deutlich [17]. Er bot Studierenden Bonuspunkte in der Prüfung an, wenn sie es schaffen würden, auch in der Zeit vor den Klausuren mindestens acht Stunden pro Nacht zu schlafen. Der Schlaf wurde mit Bewegungssensoren aufgezeichnet. Die Studierenden, die in der Lage waren, in der Woche vor der Prüfung pro Nacht mehr als acht Stunden zu schlafen, hatten am Ende bessere Noten als die Studierenden, die im Schnitt weniger als acht Stunden geschlafen hatten. Und das auch ohne die versprochenen Bonuspunkte. Allerdings könnten die Studierenden mit mehr Schlaf auch die gewesen sein, die sowieso besser, motivierter und/oder weniger gestresst durch die Prüfung waren. Trotzdem liefert die Studie den wichtigen Hinweis, dass Schlafverlängerungen zu einem gewissen Ausmaß möglich sind und etwas bringen könnten. Denn meistens reduzieren Studierende in der stressigen Lernphase ihre Schlafdauer. Einige Studenten schätzen es sogar als negativ ein, vor den Prüfungen viel zu schlafen, da sie so weniger Zeit zum Lernen haben. Die Studienergebnisse widerlegen diesen Irrglauben und zeigen, dass sich ein bewusster Umgang mit dem Schlaf gerade in stressigen Lernphasen auf die Noten auswirken kann. Ein Teilnehmer der Studie, der in der Woche vor der Prüfung mehr als acht Stunden geschlafen hat, soll gesagt haben: „Zum ersten Mal hat mein Gehirn während einer Prüfung funktioniert.“
In einer anderen Studie baten die Forscher ihre Studienteilnehmerinnen, während sechs Nächten ca. acht anstatt sieben Stunden zu schlafen [18]. Auch hier zeigten sich nach dem regelmäßig längeren Schlaf Verbesserungen in der Aufmerksamkeit. Allerdings fühlten sich die Personen nicht unbedingt wacher an den Tagen mit vermehrtem Schlaf, was erneut zeigt, dass die subjektive Einschätzung der eigenen Müdigkeit nicht unbedingt die Leistungsfähigkeit widerspiegelt. Interessanterweise konnten die Teilnehmer nach der Woche mit über acht Stunden Schlaf eine nachfolgende Nacht ohne Schlaf besser aushalten.
Auch bei Patienten- oder Risikogruppen wird mittlerweile untersucht, ob eine Schlafverlängerung Vorteile bringen kann. Wenn der Schlaf wirklich verlängert werden konnte, zeigten sich positive Effekte besonders im Bereich der gesunden Ernährung und des Metabolismus: Ausreichend Schlaf verringert z. B. die Lust auf süße und salzreiche Ernährung und führt zu einem verminderten Konsum von zuckerhaltigen Nahrungsmitteln [19]. Insgesamt gibt es Hinweise, dass eine erfolgreiche Schlafverlängerung bei vorherigen Kurzschläfern zu einer Abnahme des Körpergewichts, Reduktion von Bluthochdruck und Herzfrequenz führen kann [20]. Allerdings ist die Forschung in diesem Bereich noch in den Kinderschuhen, groß angelegte Studien fehlen bislang. Und es ist noch vollkommen unklar, ob neben der Dauer des Schlafs nicht eine Veränderung der Schlafqualität und der Tiefe des Schlafs viel entscheidender sein könnte.
Insgesamt ist es sehr vielversprechend, dass schon Schlafverlängerungen von einer Stunde Effekte auf unsere Leistungsfähigkeit, unsere Ernährung und Verdauung und die allgemeine Gesundheit haben können. Es weist auch darauf hin, dass viele Menschen in unserer Gesellschaft wahrscheinlich nicht den Schlaf bekommen, den sie eigentlich brauchten, sondern eher zu wenig schlafen. Nach einer von der Techniker Krankenkasse in Auftrag gegebenen repräsentativen Umfrage im Jahr 2017 gaben in Deutschland nur die Hälfte der befragten Personen eine regelmäßige Schlafdauer von sieben Stunden oder mehr an [21]. Schlafbezogene Interventionen zur Gesundheitsförderung und Prävention werden daher in Zukunft immer wichtiger sein, insbesondere für Menschen, deren durchschnittliche Schlafdauer zu gering ist oder die einen gestörten Schlaf haben.