Gender

„Der Begriff meint das kulturell-gesellschaftlich konstruierte Geschlecht, Geschlechterrollen und -funktionen. Er wurde im Deutschsprachigen beibehalten, weil durch die mit ihm einhergehende Unterscheidungsmöglichkeit von Sex und Gender eine Unterscheidung zwischen dem biologischen Geschlecht und dem sozialen, gesellschaftlichkulturell hergestellten Geschlecht getroffen werden konnte“ (Czollek / Perko / Weinbach, 2009, S. 17).

Claudia Höfner und Brigitte Schigl betonen, dass es nicht nur um die Unterscheidung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht geht, sondern um die „Überwindung des zugrunde liegenden Biologismus“ (Höfner / Schigl, 2012. S. 131). Sie führen hierzu den von Candance West und Don R. Zimmerman [1] entwickelten Vorschlag an, in dem differenziert wird in „sex als Geburtsklassifikation des körperlichen Geschlechts aufgrund sozial vereinbarter biologischer Kriterien“, „sex category als soziale Zuordnung eines Geschlechts im Alltag“ (ebd.; Hervorh. i. Orig.). D.h. es ist gefordert, grundsätzlich äußerlich repräsentative gesellschaftlich vereinbarte Variablen, die jemanden als weiblich oder männlich definieren, zu erfüllen. Dabei muss die sex category nicht zwingend mit sex übereinstimmen. Die dritte Kategorie ist „gender als soziales Geschlecht“ (ebd., Hervorh. i. Orig.). Dieses wird definiert durch einem Geschlecht sozial zugeordnetes Verhalten bzw. entsprechenden Tätigkeiten.

Die Annahme von konstruierten Geschlechterrollen und -funktionen bedeutet umgekehrt Veränderbarkeit und letztlich die Möglichkeit zu wählen [2]. Durch das Hineinwachsen in eine umfassendere persönliche innere Freiheit entwickelt sich ein Spielraum im Umgang mit der und der Konstruktion von Geschlechtsrolle.

Gender bezieht sich auf die Kategorien Mann und Frau. Erweitert wird die Konstruktion Geschlecht im Rahmen des Verständnisses in den Queer Studies, die sich mit Vielgeschlechtlichkeit auseinandersetzen. Sex wird als gegebenes biologisches Faktum ebenfalls dekonstruiert und als kulturell-gesellschaftliche Konstruktion verstanden. Geschlecht wird zudem als „Kategorie der Macht“ (Höfner / Schigl, 2012, S. 136) im Kontext sozialer und politischer Strukturen definiert.

Wesentlich ist weiterhin, dass die Genderbzw. Queerperspektive nicht isoliert betrachtet werden darf, sondern im Kontext anderer Diversitykategorien wie sexuelle Orientierung, Alter, Hautfarbe, kulturelle Herkunft, religiöse Einbindung, Bildung und weitere mehr. Diese Kategorien gelten als „gesellschaftliche Regulativa“ (ebd., S. 11), aufgrund derer Menschen bewertet, integriert und ausgegrenzt werden, und je nachdem an „gesellschaftlichen (ökonomischen, sozialen, kulturellen, institutionellen etc.) Ressourcen“ (ebd., S. 11) teilhaben oder von ihnen ausgeschlossen werden. Allerdings ist hier die Frage zu stellen, inwieweit die theoretischen Auseinandersetzungen verbunden sind mit dem Leben der Menschen. Constance Engelfried und Corinna Voigt-Kehlenbeck merken kritisch an:

„Konstruktionsprozesse von Geschlecht sind differenziert und vielschichtig. Auf der einen Seite öffnen sich Lebenswelten und dies fördert die Anerkennung von Vielfalt. Auf der anderen Seite trägt das Wissen um die Komplexität der Genderperspektive mit dazu bei, dass die Anwendung dieses reflexiven Wissens sich bis zur Unkenntlichkeit

ausdifferenziert“ (Engelfried / Voigt-Kehlenbeck, 2010, S. 7). [3]

Für die Empirie bleibt es m. E. angemessen, von zwei Geschlechtern auszugehen und heraus zu arbeiten, wie sich die Menschen selbst beschreiben und erleben. Dabei hilft das Wissen um oben genannte Faktoren und Einflüsse.

  • [1] West, Candance / Zimmerman, Don H. (1987): Doing Gender. In: Gender & Society, Nr. 2/1, S. 125-151
  • [2] Die Freiheit der Wahl ist m. E. jedoch relativ, weil Menschen immer eingebunden sind in soziale und kulturelle Zusammenhänge und Wirklichkeitskonstruktionen und durch deren Folien sich selbst und die Welt beschreiben, verstehen und erklären. Hierzu äußert sich Barbara Rendtorff: „…dass es heutzutage weitgehend Konsens ist, dass Individuen ihre Identität und ihre Selbstentwürfe in aktiver Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt ausbilden: mit normativen gesellschaftlichen Erwartungen, mit kulturellen Vorgaben bezüglich, Status, Geschlecht oder einem `guten Leben´ usw. – dies wird auch für die Geschlechtsidentität allgemein angenommen (Rendtorff in: von Felden, 2003, S. 99)
  • [3] Heide von Felden weist bereits 2003 darauf hin, dass „die Debatte in der Frauenund Geschlechterforschung [hat] in den letzten Jahren zunehmend einen erkenntnis-theoretischen Charakter angenommen“ hat und „das Auseinanderfallen von Theorie und Praxis beklagt“ wird (von Felden, 2003, S. 79).
 
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