Darf ich abends noch Kaffee trinken?
Kaffee wird in unseren Kulturkreisen sehr häufig getrunken und ist einer der meistverwendeten „Wachmacher“ [51]. Gerade der Kaffee am Morgen nach dem Aufstehen ist für viele Menschen ein wichtiges Ritual, erkennbar in Aussagen wie „Ich bin erst richtig wach, wenn ich einen
Kaffee getrunken habe“ oder „Sprich mich nicht an - ich hatte noch keinen Kaffee.“
Die stimulierende Wirkung des Kaffees beruht auf dem Wirkstoff Koffein. Es ist ebenfalls in vielen Getränken wie Energy-Drinks oder bestimmten Limonaden (z. B. Coca-Cola) enthalten, aber auch in Tee und Schokolade. Koffein blockiert bestimmte Verbindungen unseres Nervensystems, die für den Schlaf wichtig sind [52]. So hält uns Koffein länger wach und reduziert unser Schlafbedürfnis - zumindest vorübergehend. Und genau das erwarten wir ja vom Kaffee: Er soll unsere Müdigkeit vertreiben und uns helfen, wach zu bleiben. Dies können auch wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen. Nach einer Nacht ohne Schlaf führt Kaffee bzw. Koffein zu einer Steigerung der Wachheit, und die Versuchsteilnehmer reagieren schneller und machen weniger Fehler in Konzentrationsaufgaben, wie beispielsweise beim Autofahren [53].
Da Koffein uns wach macht, stört das Kaffeetrinken am Abend den Schlaf: Nach einer Überblicksarbeit des Zürcher Schlafforschers Hans-Pe-ter Landolt schlafen wir nach dem Kaffeetrinken am Abend im Allgemeinen schlechter ein, wachen nachts häufiger auf und haben eine verkürzte Schlafdauer [51]. Weiterhin verbringen wir weniger Zeit im Tiefschlaf. Je mehr Kaffee wir trinken bzw. je mehr Koffein wir zu uns nehmen, desto stärker sind die Einflüsse. Kaffee beeinflusst dabei sowohl die subjektiven Berichte als auch die objektiven Messwerte. Besonders stark sind die störenden Einflüsse des Kaffees auf den Schlaf, wenn er innerhalb einer Stunde vor dem abendlichen Schlafengehen getrunken wird.
Allerdings unterscheiden sich Menschen sehr stark in ihrer Reaktion auf Koffein. Manche können auch abends noch einen Kaffee trinken und fühlen sich in ihrem Schlaf nicht gestört [54]. Andere spüren dagegen eine starke Wirkung des Koffeins und meiden Kaffee. Wenn sie dann doch einen trinken, berichten sie häufiger von Schlafstörungen. Ein Teil der Unterschiede in der Empfindlichkeit auf Koffein könnte mit der Genetik Zusammenhängen.
Diese großen Unterschiede machen allgemeine Empfehlungen schwer: Wer sowieso das Gefühl hat, nicht gut ein- oder durchschlafen zu können, der sollte auf jeden Fall probieren, den Kaffee am Abend wegzulassen. Es wäre sogar gut, schon am frühen Nachmittag (ab 14 Uhr oder 15 Uhr) mit Kaffeetrinken aufzuhören, da die Wirkung des Koffeins durchaus über längere Zeit anhalten kann. Ich selbst trinke gar keinen Kaffee mehr, da ich sehr empfindlich auf Koffein reagiere. Ich habe früher viel Kaffee getrunken, hatte aber regelmäßig Kopfschmerzen, wenn ich mal einen Tag keinen getrunken habe. Die Kopfschmerzen hielten wie eine Entzugserscheinung einige Tage an und waren dann wieder vorbei. Wenn ich dann doch wieder mit Kaffee angefangen habe, kam es beim erneuten „Entzug“ zum gleichen Verlauf. Nach mehreren solcher Runden habe ich beschlossen, gar keinen Kaffee mehr zu trinken. Im Rückblick kann ich sagen, dass dies meine Empfindlichkeit gegenüber Koffein noch verstärkt hat. Deshalb trinke ich jetzt auch keinen koffeinfreien Kaffee mehr (denn ganz frei von Koffein ist der auch nicht) und auch keinen schwarzen oder grünen Tee. Ich trinke sogar mittlerweile fast nur noch heißes Wasser -sehr zu empfehlen! Hat das nun meinen Schlaf verbessert? Das kann ich nicht genau sagen. Eins steht aber fest: Wenn ich jetzt nicht schlafen kann, liegt es sicher nicht am Koffein.
Wenn sich also jemand mit dem regelmäßigen Kaffeegenuss wohlfühlt und trotzdem einen guten Schlaf hat, braucht er oder sie nichts zu ändern. Für einige Personen kann Kaffee am Abend auch ein wirksames Mittel sein, um nächtliche Kopfschmerzen zu verringern [55]. Interessanterweise deuten wissenschaftliche Untersuchungen daraufhin, dass die am Tag getrunkene Menge an Kaffee bei regelmäßigen Kaffeetrinkern nicht mit der Dauer des Schlafs in der nächsten Nacht zusammenhängt [56]. Allerdings trinken diese Personen mehr Kaffee, wenn sie in der Nacht davor wenig oder schlecht geschlafen haben. Schlechter Schlaf führt also zu mehr Kaffeetrinken, mehr Kaffee am Tag aber nicht zu einem schlechteren Schlaf in der Folgenacht. Selbst Kaffeetrinken in den vier Stunden vor dem Zubettgehen bewirkte in einer weiteren Studie an über 5000 Teilnehmerinnen keine Veränderung des Schlafs [57]. Rauchen am Abend führte dagegen deutlich zu einem vermehrten Aufwachen in der Nacht. Der Schlaf wurde in dieser Untersuchung über Selbstberichte und auch objektiv über Bewegungen erfasst.
Obwohl uns Kaffee bzw. Koffein im Allgemeinen wacher macht, ist die Wirkung von Koffein auf den Schlaf bei den einzelnen Menschen sehr unterschiedlich. Wahrscheinlich müssen wir alle selbst ausprobieren, wie viel Kaffee (und zu welcher Uhrzeit) wir trinken können, ohne den eigenen Schlaf zu stören. Auch die Regelmäßigkeit spielt eine Rolle: Wer jeden Tag Kaffee trinkt, merkt sehr wahrscheinlich gar nicht, welche Entzugserscheinungen auftreten können und ob der Verzicht auf
Kaffee den Schlaf verbessert oder nicht. Gleichzeitig ist regelmäßiger und moderater Kaffeegenuss durchaus auch mit positiven Effekten verbunden: So haben moderate Kaffeetrinkerinnen (zwei bis drei Tassen pro Tag) eine leicht erhöhte Lebenserwartung im Gegensatz zu Personen, die keinen Kaffee trinken [58]. Dies gilt allerdings auch für entkoffeinierten Kaffee.