Empirie

Methodische Grundlagen

Das Herausarbeiten von geistig-religiösen Entwicklungsund Lernprozessen von Frauen über die Lebensspanne steht im Zentrum dieser Arbeit. Den Zugang zu diesen Entwicklungsprozessen und damit einhergehenden Themen für die jeweilige Frau bietet die Biographie. „Biographien beinhalten die äußere Geschichte des Lebens und die psycho-soziale Entwicklung einer Person“ (Hoerning, 2001, S. 184).

Autobiographische Stegreiferzählungen bieten eine gute Grundlage, um biographische Erfahrungsaufschichtungen zum einen zu rekonstruieren und sie zum anderen in der Folge wissenschaftlich untersuchen zu können. Die biographieanalytische Methode des narrationsstrukturellen Verfahrens, die Fritz Schütze entwickelt hat, verfolgt dieses Anliegen mit ihrem methodischem Konzept und dient deshalb als methodische Orientierung zur Auseinandersetzung mit den autobiographischen Erzählungen und zur Explikation von wesentlichen, die geistig-religiöse Ebene berührenden Themen in den Lebensgeschichten.

Wahl der Interviewpartnerinnen

Um Datenmaterial zum Explizieren geistig-religiöser Lernund Bildungsprozesse von Frauen zu erhalten, habe ich als Interviewpartnerinnen buddhistische Meditationsund Dharmalehrerinnen ausgewählt. Die Frauen stammen aus Deutschland, sind hier geboren und aufgewachsen, haben den Großteil ihres Lebens hier verbracht und aktuell ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland. D.h. Grundlage der Auswahl der Interviewpartnerinnen ist ein Profil der Frauen in ihrer Biographie bzw. biographischen Entwicklung in einer Verwurzelung oder Herkunft in der mitteleuropäischen („westlich“) christlich geprägten Kultur hin zu einem buddhistisch geprägten („östlich“) spirituell-religiösen Weg, der sowohl die persönliche als auch die berufliche Ausrichtung beim Beibehalten des Lebensmittelpunkts in ihrer Herkunftskultur umfasst. Ich habe buddhistische Meditationsund Dharmalehrerinnen ausgewählt, weil ich davon ausgehe, dass ihre Verwurzelung im Buddhismus wirklich tiefgehend ist. Diese Frauen sind in der Regel von einer weiteren Lehrerin bzw. einem weiteren Lehrer, bei der oder dem sie selbst jahrelang als Schülerin die buddhistische Lehre studiert und Meditation geübt haben, zum Lehren autorisiert worden.

Die Auswahl der 10 Interviewpartnerinnen geschah zunächst ausschließlich aufgrund der genannten Kriterien. Da ich eine gewisse Kenntnis über die buddhistische Landschaft in Deutschland habe, war es leicht für mich, potentielle Interviewpartnerinnen zu eruieren. Sie sind als Lehrende öffentliche Personen und wollen ihre Angebote verbreiten. Daher konnte ich diverse Kontaktdaten über entsprechende Websites im Internet finden. Ich habe Frauen aus unterschiedlichen buddhistischen Schulen gewählt, um die Bandbreite der buddhistischen Zugänge auszuschöpfen und somit auch eine Vielfalt in den rekonstruierten Lebensläufen zu ermöglichen, die sich möglicherweise auf der persönlichen religiösen Ebene der Entwicklung unabhängig vom religiösen Kontext der jeweiligen Frau herausbilden. Außerdem war mir wichtig, dass ich die Frauen nicht bereits persönlich kannte. Diese Vorgabe habe ich bis auf eine Ausnahme eingehalten (ausführlicher werde ich auf diese Entscheidung im folgenden Abschnitt‚ zum persönlichen Forschungsprozess' eingehen).

Die erste Anfrage für ein mögliches Interview habe ich jeweils per Email gestellt. In dieser Email habe ich mich als Person vorgestellt und mein Interesse an der jeweiligen Frau als Interviewpartnerin für ein Promotionsprojekt, das sich mit den Lebensgeschichten buddhistischer Meditationsund Dharmalehrerinnen beschäftigt, geäußert. Die meisten meiner Anfragen sind positiv beantwortet worden. Weitere Absprachen sind per Email oder Telefon erfolgt. Die Interviews fanden in ganz Deutschland statt, entweder in buddhistischen Zentren oder in der häuslichen Umgebung der Interviewpartnerinnen.

Die Identifikation als buddhistische Dharmabzw. Meditationslehrerin ließ einen Zugang zur jeweils persönlichen Religiosität erwarten. Die Auseinandersetzung mit Geschlecht in der speziellen Verbindung mit Religiosität konnte ich bei einigen Interviewpartnerinnen voraussetzen, weil sie explizit dafür bekannt sind und sich selbst entsprechend verorten, diesen Aspekt auch in die buddhistische Lehre mit hinein zu nehmen. Die jüngste Biographieträgerin war zum Zeitpunkt des Interviews 43 Jahre, die älteste 68 Jahre alt. Die Frauen lebten sowohl als Nonne in einem buddhistischen Zentrum mit klösterlichen Strukturen, als auch, und das in der Mehrzahl, in einer eigenen Wohnung oder einem eigenen Haus, gemietet oder als Eigentum. Die Frauen lebten alleine, mit Partner/-in mit oder ohne Trauschein, mit oder ohne buddhistische Einbindung des Partners bzw. der Partnerin sowie mit oder ohne Kindern bzw. bereits erwachsenen Kindern, die schon ausgezogen waren. Zum Teil konnten sie mit ihrer Tätigkeit als Lehrende ihren Lebensunterhalt sichern. Zum Teil waren die Frauen noch auf andere Erwerbsquellen als die ihrer Tätigkeit im Rahmen der buddhistischen Lehre und Praxisanleitung angewiesen. Sie arbeiteten in ihren Ausbildungsoder Studienberufen oder auch in Arbeitsbereichen, die sich mittlerweile ergeben hatten.

Allen gemeinsam war eine Alltagsstruktur, in der sie spezielle Studienund Praxiszeiten für sich selbst und buddhistische Lehrtätigkeit integrierten.

Insofern war über diese Interviewpartnerinnen der Bezug zur geistig-religiösen Ebene auch auf einer reflexiven Ebene vorauszusetzen. Sich buddhistisch in Westeuropa zu verorten bedeutet immer auch Bewusstseinsschulung, so dass ich in Bezug auf die Kompetenz von Selbstund Weltreflexion ein hohes Niveau erwartet habe. Ebenso bedeutet die Verbindung mit dem Buddhismus in Deutschland zu einer religiösen Minderheit zu gehören. Insgesamt war durch die von mir gegebene Hintergrundinformation zu erwarten, dass ich mich im Rahmen des Promotionsprojektes für den Weg der Frauen bis hin zum Status als Meditationsund Dharmalehrerin interessiere und dass die Lebensgeschichten, die erzählt werden würden, in der Weise konstruiert würden, dass sie eine Hinführung zu dieser Rolle beschreiben mit den entsprechend erlebten Entwicklungsschritten. Insofern waren die Aspekte Lernund Bildungsprozesse im Kontext der geistig-religiösen Entwicklung für die Rekonstruktion der narrativen Biographien vorgegeben.

 
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