Das Konzept der Positionierung

Als ein weiteres methodisches Vorgehen zur Explikation identitätsbildender Prozesse, die in Stegreiferzählungen konstituiert werden, möchte ich Vorschläge des Konzepts der Positionierung, wie es Gabriele Lucius-Hoene und Arnulf Deppermann (2004) präsentieren, heranziehen.

„Dabei wird zwischen verschiedenen Ebenen und Bezügen unterschieden: Selbstund Fremdpositionierungen, Positionierungen dargestellter Figuren innerhalb der Erzählzeit und von Erzähler und Zuhörern in der erzählten Zeit sowie die Relation zwischen erzählenden und erzähltem Ich. Diese Differenzierungen erlauben nicht nur eine detaillierte Rekonstruktion unterschiedlicher Facetten und Verfahren der Herstellung narrativer Identität [1], sie eröffnen auch psychologisch und soziologisch aufschlussreiche

Einblicke in die Relationen zwischen Identitätsentwürfen auf den verschiedenen Ebenen“ (Lucius-Hoene / Deppermann, 2004, S. 166).

Ein grundlegender Fokus liegt hierbei in der Positionierung der Biographieträgerin bzgl. ihrer eigenen Person (Selbstpositionierung) und den Zuschreibungen in Richtung ihrer Bezugspersonen (Fremdpositionierung). D.h. sämtliche Positionierungen in Bezug auf alle Personen, die in der Erzählung eingeführt werden, werden durch die Biographieträgerin aus ihrer Perspektive, ihren Intentionen in der Erzählzeit für die erzählte Zeit vorgenommen (vgl. ebd. S. 175).

Die Positionierungen drücken persönliche Merkmale, soziale Identitäten, rollenbedingte Rechte sowie moralische Attribute und Ansprüche aus (vgl. ebd.,

S. 171). Im Rahmen von autobiographischen Stegreiferzählungen, in dem fast ausschließlich monologisches Erzählen stattfindet, ist

„grundlegend [] dabei zunächst einmal die Tatsache, dass sich das Ich des Sprechers aufgrund des speziellen Vergangenheitsbezugs des Erzählens in ein (gegenwärtiges) erzählendes Ich (als aktueller Sprecher und Interaktionspartner) und ein (früheres) erzähltes Ich (als Akteur in der Geschichte) aufspaltet“ (ebd., S. 172).

Außerdem hat die Biographieträgerin die ‚Positionierungsmacht' über die Personen, die sie in ihrer Erzählung präsentiert, auch wenn sie diese so darstellt, als hätten oder würden sich diese Personen von sich aus so positioniert bzw. positionieren, wie dargestellt. Die Qualität der Positionierung in der Gegenwart, also der Erzählzeit auf die erzählte Zeit und damit einhergehend auf die Akteure und Geschehnisse, weist auf Aspekte der Identität in der Erzählzeit hin. Entwicklungsoder auch Lernprozesse werden z.B. durch eine distanzierte Sicht in der Erzählung auf Vergangenes, deutlich (vgl. ebd., S. 174ff).

Weitere Positionierungen finden zwischen Erzählerin und Zuhörerin statt. Implizite Positionierungen sind u.a. in der Weise möglich, dass sich, wie in den dargestellten Einzelfallanalysen immer wieder vorkommend, die Biographieträgerin als Expertin positioniert und die Zuhörerin dabei entweder ebenso als Expertin oder als zu Belehrende positioniert. Ein Beispiel aus einem der Interviews macht dies im Folgenden deutlich:

„Almut Zenk: Ich weiß nicht soll ich da ein bisschen ausholen oder sind Sie vertraut mit der buddhistischen Meditation wahrscheinlich doch

A.L.: (nickt)

Almut Zenk: Schon ... ok“ ( Interview Almut Zenk, Z 270-274).

Explizite Positionierungen treten insbesondere in den Anfangsund Schlusssituationen, also dem Nachfrageteil der Interviews, auf. So werden z.B. Machtpositionierungen vorgenommen wie in folgendem Beispiel:

„Almut Zenk: Ja, Und wenn Sie, wenn Sie einfach nachfragen wollen, wenn ich da zu weit ausufere, ehm dann machen Sie das ja, .. Sie können mich jederzeit unterbrechen“ (Interview Almut Zenk, Z 35-37).

Die Biographieträgerin nimmt hier die Erzählmacht zu sich, d.h. implizit die Gestaltung des Interviewablaufs. Sie hält es nicht für relevant nachzufragen, ob Zwischenfragen gestellt werden oder ob die Interviewerin begrenzen wird, sondern positioniert sich so, dass sie diejenige ist, die über Unterbrechungen des Erzählflusses entscheidet und gewohnt ist, soziale Situationen zu bestimmen und zu gestalten und auch gewohnt ist, dass sich Andere dem anpassen, dass sie selbst bestimmen, entscheiden und gestalten darf. Bemerkenswert ist auch der Aspekt, dass die Erzählerin Positionierungen auf die Interviewerin projizieren kann, die mit ihrer eigenen Geschichte zu tun haben (vgl. Lucius-Hoene / Deppermann, 2004, S. 180).

Die Ausführungen zum Konzept der Positionierungen machen deutlich, dass in diesem Zugang zur Auswertung narrativ-autobiographischer Interviews vielfältige Ansatzpunkte liegen, „die Heterogenität und situative Flexibilität von Selbsterfahrungen und -präsentationen, also ein Spiegelbild der vielfältigen Möglichkeiten, zu sich und dem Selbsterlebten in sozialen Interaktionen Stellung beziehen zu können“ (ebd., S. 181) herauszuarbeiten.

  • [1] Siehe dazu auch das entsprechende Kapitel
 
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