Kongress

Die philippinische Parlamentstradition ist bikameral geprägt, von 1973 bis 1986 existierte ein Einkammerparlament. Entsprechend der Taxonomie von Arend Lijphart (2012) handelt es sich bei dem philippinischen Zweikammersystem um einen inkongruenten und symmetrischen Bikameralismus. Der Kongress gliedert sich in das Repräsentantenhaus (Kapulungan ng mga Kinatawan ng Pilipinas) und den Senat (Senado ng Pilipinas). In der 15. Wahlperiode (2010–2013) gehören dem Unterhaus 285 Abgeordnete

394 10 Philippinen

Tab. 10.3 Kompetenzen des philippinischen Präsidenten im historischen Vergleicha

1935

1973 (1981)b

1987

Gesetzgebungsrechte

8

13

7

Packetveto

2

2

2

Einzelveto

3

3

3

Dekretmacht

1

2

0

Gesetzesinitative

0

0

0

Budgetrechte

2

2

2

Referendumsinitiative

0

4

0

Weitere Kompetenzen

11

12

11

Kabinettsbildung

3

4

3

Abberufung des Kabinetts

4

4

4

Zensusrechte des Parlaments

4

1

4

Parlamentsauflösung

0

3

0

Amtszeit in Jahren

4

6

6

Zulässige Amtszeiten

2

unbeschränkt

1

Quelle: Messung nach Shugart und Carey (1992, S. 150) durch den Autor

a Zur Messung der Indikatoren vgl. Kap. 4.3.

bMit Änderungen und Übergangsregeln zum Stand 1981. Dem Präsidenten blieben die Vollmachten der Verfassung von 1935 erhalten, zusätzlich konnte er die Geschäfte des Premierministers führen und wurde direkt gewählt. Die Werte erfassen die kombinierten Kompetenzen des Präsidenten und des Premierministers.

(engl.: Congressmen) an. Die Wahlperiode beträgt drei Jahre. Gewählt wird nach einem Mehrheitswahlsystem mit nicht-kompensatorischem Parteilistenverfahren. Letzteres soll die Repräsentation „marginalisierter“ sozialer Sektoren im Kongress ermöglichen (vgl. Absch. 10.5). Der Senat ist keine Kammer der Provinzen oder Provinzregierungen. Das ergäbe im philippinischen Einheitsstaat keinen Sinn. Vielmehr handelt es sich um ein zweites, in seiner Kreation von der ersten Kammer unabhängiges und demokratisch legitimiertes nationales Parlament. Die 24 Senatoren werden nach Mehrheitswahl in einem landesweiten Wahlkreis für sechs Jahre gewählt. Die Wahlperiode ist gestaffelt, jeweils die Hälfte der Senatoren stellt sich alle drei Jahre zur Wahl.

Für beide Kammern gelten Amtszeitbeschränkungen. Im Senat sind maximal zwei, im Repräsentantenhaus höchstens drei konsekutive Amtszeiten erlaubt. Es besteht Inkompatibilität mit anderen Wahloder Regierungsämtern. An der Spitze der Kammer steht ein mit Mehrheit gewählter Sprecher (Haus) oder Präsident (Senat). Er ernennt die Vorsitzenden der Ausschüsse und die Mitglieder im Vermittlungsausschuss (conference committee), legt den Sitzungsplan der Kammer sowie die Tagesordnung der Plenarsitzungen fest und leitet diese. Ferner entscheidet er, an welchen Ausschuss eine Gesetzesvorlage weitergeleitet wird. Der Senatspräsident leitet ex officio den bikameralen Bestätigungsausschuss, das wichtigste Kontrollorgan des Kongresses gegenüber dem Präsidenten.

Der philippinische Kongress ist ein Arbeitsparlament. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt in den Ausschüssen. Ihre Anzahl und der thematische Zuschnitt variieren im Zeitverlauf. Die ständigen Ausschüsse befassen sich in der Regel mit Themenbereichen der Ministerien, die übrigen Ausschüsse mit der Umsetzung bestimmter Parlamentskompetenzen. Die Funktion der außerordentlichen Ausschüsse erlischt mit der Bearbeitung eines bestimmten Themas (meist ein Gesetzgebungsprojekt). Im 15. Senat (2010–2013) gab es 37 ständige sowie 30 außerordentliche Ausschüsse mit zehn bis 17 beziehungsweise vier bis 15 Mitgliedern. Das Repräsentantenhaus hat 59 ständige sowie elf außerordentliche Ausschüsse mit sieben bis 52 Mitgliedern. Eine Ausnahme bildet der wichtige Haushaltsausschuss, dem 125 der 285 Abgeordneten angehörten (Stand: Mai 2013). Diese im internationalen Vergleich ungewöhnlich starke Ausdifferenzierung erzeugt beträchtliche Folgeprobleme hinsichtlich der effizienten Parlamentsarbeit und insbesondere im Gesetzgebungsverfahren (Caoili 2006b, S. 305).

Der Kongress verfügt über mehrere Instrumente zur Kontrolle der Exekutive. Neben dem Interpellationsrecht und der Einrichtung von Untersuchungsausschüssen ist der Kongress verpflichtet, die Verhängung des Kriegsrechts und die Suspendierung der Grundrechte innerhalb von 48 h zu prüfen. Der aus jeweils zwölf nach Parteienproporz gewählten Vertretern der beiden Häuser und dem Senatspräsidenten bestehende Ernennungsausschuss muss alle Ernennungen des Präsidenten mit Ausnahme der Obersten Richter bestätigen. Dem Präsidenten wird ein politischer Ermessensspielraum zugestanden; bei politisch besonders kontroversen Nominierungen hat der Ausschuss jedoch mehrmals die Zustimmung verweigert (Caoili 2006b, S. 307). Die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Präsident, Vizepräsident, Ombudsmann, Richter am Obersten Gerichthof oder Mitglieder anderer Verfassungsorgane nach Artikel XI (2) der Verfassung erfolgt durch das Repräsentantenhaus. Ein Antrag gegen einen Amtsträger ist nur einmal pro Sitzungsperiode zulässig und kann von einzelnen Abgeordneten gestellt werden. Individuelle Anträge prüft der Rechtsausschuss. Stimmt mindestens ein Drittel der Abgeordneten dem Antrag zu, konstituiert sich der Senat als Geschworenenbank. Beim Verfahren gegen den Präsidenten leitet der Vorsitzende Richter am Obersten Gerichtshof die Verhandlung. Der Senat entscheidet mit Zweidrittelmehrheit.

Hinsichtlich der sozio-demographischen Struktur zeigt der post-autoritäre Kongress eine Kontinuität zur vor-autoritären Zeit. Der Versuch, durch Amtszeitbeschränkungen und die Einführung des Parteilistenverfahrens eine soziale Öffnung zu erreichen, war bislang nicht erfolgreich. Von den Abgeordneten, die 1987 ins Repräsentantenhaus gewählt wurden, gehörten 83 % zur traditionellen Elite des Landes, die bereits in der ersten philippinischen Demokratie die politischen Pfründe unter sich aufgeteilt hatte (Gutierrez et al. 1992, S. 159 ff). In den folgenden Legislaturperioden hat sich das elitäre Rekrutierungsmuster verfestigt, zumal zahlreiche Abgeordnete die zur Bekämpfung der politischen Dynastien eingeführten Wiederwahlverbote umgehen, indem sie Familienangehörige ins Rennen schicken, die während der Vakanzperiode das Mandat wahrnehmen. So stieg beispielsweise der Anteil der Wahlkreisabgeordneten im Repräsentantenhaus, die Verwandte in anderen Wahlämtern hatten, von etwa 62 % in der 8. Wahlperiode (1987–1992) auf 70 % in der 15. Wahlperiode (2013–2016; vgl. Caoili

2006b; Quimpo 2015).

 
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