Verkaufte die Bahn den Juden Fahrkarten für ihre eigene Deportation?

Einen Fahrkartenverkauf für die Deportationszüge hat es zwar nicht gegeben, gleichwohl kassierte die Reichsbahn nach einem festgelegten Tarif für jede deportierte Person einen Fahrpreis. Wie für jede andere Fahrkarte auch berechnete die Bahn den Preis pro Person und gefahrenen Kilometer. Für die Deportationszüge legte sie den Tarif der dritten Klasse zugrunde (4 Pfennig pro Kilometer), für Kinder unter 10 Jahren eine Ermäßigung von 50 Prozent, und für Kinder unter vier Jahren musste nicht bezahlt werden. Überdies berechnete sie einen Gruppentarif und reduzierte ihre Forderung bei einer Anzahl von mindestens 400 Deportierten um 50 Prozent. Offiziell mussten nicht die Juden selbst die Kosten begleichen, sondern diejenige Dienststelle, die den Zug bestellt hatte. De facto aber holte sich die SS das Geld, wo immer es ihr möglich war, von den Juden bzw. jüdischen Organisationen, im Deutschen Reich zum Beispiel von der Reichsvereinigung der Juden.

Deportationen von Juden mit der Bahn gab es erstmals Ende Oktober 1938, als Juden mit polnischer Staatsbürgerschaft aus Deutschland vertrieben wurden. Ab September 1939 folgte im besetzten Polen die Vertreibung von Juden, aber auch nichtjüdischen Polen aus den annektierten westpolnischen Gebieten. Ab Herbst 1941 begannen schließlich die Deportationen aus dem Deutschen Reich, worauf später Transporte aus allen besetzten und verbündeten Ländern folgten. Anders als es viele Filme darstellen, wurden bei weitem nicht immer Güterwaggons benutzt; aus den westeuropäischen besetzten Ländern fuhren häufig auch Personenwaggons. Die meisten dieser Transporte wurden im Reichssicherheitshauptamt in Adolf Eichmanns Referat von Rolf Günter und Franz Novak organisiert und koordiniert, wobei sie selbstverständlich eng mit den Funktionären der Reichsbahn und anderen Eisenbahnen sowie mit Vertretern der Besatzungsverwaltungen und einheimischen Instanzen in den jeweiligen Ländern zusammenarbeiteten. Außerdem war das Auswärtige Amt eng eingebunden in die Vorbereitung der Deportationen. Vor Ort bereiteten jeweils zahlreiche Behörden und ihre Mitarbeiter alles vor: Das Vermögen und die Wohnungen der Menschen mussten registriert und gesichert werden, es galt die Bewachung zu organisieren und durchzuführen, die Abwicklung von Sozialversicherungsansprüchen und Ähnliches war in den entsprechenden Ämtern zu leisten.

Parallel zur Deportation der Juden in Europa stellte die Bahn unzählige Züge zur Verfügung, mit denen Kriegsgefangene und Zivilarbeiter aus zahlreichen besetzten Gebieten, vor allem aus Ostmitteleuropa, nach Deutschland deportiert wurden. Juden und andere wurden nicht ausschließlich mit der Bahn deportiert, es wurden auch Schiffe eingesetzt, die die jüdische Bevölkerung von den griechischen Inseln zum Festland oder aus dem Umland über die Weichsel nach Krakau brachten und Ähnliches mehr. Vielfach deportierte man die Menschen aber auch zu Fuß oder mit Lastwagen. Vor allem in der Kriegsendphase trieb man die Gefangenen von Konzentrationslagern auf langen sogenannten Todesmärschen quer durchs Land.

Zwar fanden viele Deportationen in den frühen Morgenstunden oder auch von weniger zentral gelegenen Bahnhöfen aus statt, dennoch spielten sie sich vielfach in der Öffentlichkeit ab. Die Vorbereitungen blieben der restlichen Bevölkerung ebenso wenig verborgen wie der Abmarsch einer so großen Personenzahl. Aus vielen Orten gibt es Fotoserien, die dies festhalten und die zum Teil von Privatleuten aufgenommen wurden. Überdies profitierten viele von der Deportation der Juden und bemühten sich aktiv um die freigewordenen Wohnungen oder den zurückgelassenen Besitz, der häufig in öffentlichen Versteigerungen, die ein Publikumsmagnet waren, feilgeboten wurde.

 
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