Gegen wen sollten die «Austauschjuden» ausgetauscht werden?
«Austauschjuden» waren in der NS-Sprache nichts anderes als jüdische Geiseln, jüdische Inhaftierte, von denen sich die Machthaber noch einen Nutzen versprachen, sei es im Austausch gegen Deutsche, die in Palästina oder anderswo im British Empire lebten, deutsche Gefangene der Alliierten oder gegen Güter. Ihre Inhaftierung im Lager sollte als Druckmittel dienen und das Verhalten mancher Regierungen zugunsten NS-Deutschlands beeinflussen. Diese Vorstellung von der Bedeutung jüdischer Geiseln war nicht frei von der antisemitischen Wahnidee eines Weltjudentums, das großen Einfluss auf die Zeitläufte habe bzw. etliche Staaten im Verborgenen lenke.
Bis Februar 1943 wurde nur eine geringe dreistellige Zahl von Juden, die aus Palästina stammten oder gültige Einreisepapiere hierfür vorweisen konnten, gegen Deutsche ausgetauscht. Von 1943 bis 1945 wurde der in Frage kommende Personenkreis erweitert. Der Reichsführer SS Heinrich Himmler ordnete an, ein Aufenthaltslager für diese «Austauschjuden» in Bergen-Belsen anzulegen, das 10 000 Personen fassen sollte. Hierhin brachte man unter anderem rund 4000 Juden aus den Niederlanden. Aus Bergen-Belsen wurden 222 Menschen Mitte 1944 nach Palästina gebracht, für die im Gegenzug 150 Deutsche von dort ins Reich reisen konnten. Viele andere der rund 14700 Juden, die das Aufenthaltslager durchliefen, wurden getäuscht; sie wurden einige Zeit später weiter deportiert und ermordet.
Abseits dieses Programms gab es jedoch weitere Initiativen für einen Austausch oder Freikauf von Juden. So konnte der Schweizer Jean-Marie Musy im Auftrag der orthodoxen Organisation Agudat Israel 1944/45 in Verhandlungen mit der SS erreichen, dass am 5. Februar 1945 1200 Menschen das Ghetto Theresienstadt mit einem Zug Richtung Schweiz verließen und dort zwei Tage darauf wohlbehalten eintrafen. Von dort reisten die meisten kurze Zeit später weiter nach Palästina.
«Der Führer schenkte den Juden eine Stadt»?
Unter dem Titel «Der Führer schenkte den Juden eine Stadt» ging ein Propagandafilm in die Geschichte ein, der nie in die Kinos kam und diesen Titel nie getragen hat. Der heute nur in Fragmenten überlieferte Film entstand im Herbst 1944 im Ghetto Theresienstadt in Böhmen und zeichnete unter dem prosaischen Titel «Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet» ein Zerrbild. Er zeigte ein Zuckerbäcker-Ghetto. Unter Zwang und Stenger Kontrolle durch die SS musste Kurt Gerron, der als Schauspieler, Kabarettist und Regisseur vor 1933 mit den Kassenschlagern «Der blaue Engel» mit Marlene Dietrich oder «Die drei von der Tankstelle» mit Heinz Rühmann große Erfolge gefeiert hatte, das zynische Trugbild eines Alters- und Vorzeigeghettos der Nationalsozialisten in Szene setzen.
Für die Aufnahmen griff man auf das schon für den Besuch einer Rotkreuz-Delegation herausgeputzte Ghetto zurück und rundete das Bild durch manche Kulisse ab. Die Gefangenen Theresienstadts selbst mussten als Komparsen sowie als Musiker für den Propagandastreifen herhalten. Der Film zeigte ein stark geschöntes Bild des Ghettos und inszenierte den Kommandanten Karl Rahm als fürsorglichen väterlichen Kümmerer. Gerron und viele Mitwirkende lebten nach Fertigstellung des Films bald schon nicht mehr. Der Regisseur wurde am 28. Oktober 1944 nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet.