Kann der Holocaust sich wiederholen?
»Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.» Dieser Auffassung war der italienische Überlebende Primo Levi, der damit auch den zentralen Antrieb vieler Überlebender ansprach, warum sie Zeugnis ablegten. Es ist zwar eine Binsenweisheit, dass Geschichte sich nicht wiederholt. Damit ist aber nur gemeint, dass etwas genau Gleiches nicht zweimal passiert, wohl aber kann etwas Ähnliches noch einmal geschehen. So kann man sagen, dass nach dem Völkermord an den europäischen Juden in der Welt trotz der Lehren, die man daraus hätte ziehen können, weitere Völkermorde geschehen sind. Im ostafrikanischen Ruanda zum Beispiel begingen radikale Milizen, die sich vor allem aus der Gruppe der Hutus rekrutierten, nach dem Flugzeugabsturz des ruandischen Präsidenten im April 1994 einen Massenmord an Angehörigen der Gruppe der Tutsis sowie an demokratisch gesinnten Hutus. Systematisch wurden die Listen der Einwohnermeldeämter, in denen die Volkszugehörigkeit verzeichnet war, abgearbeitet und die betreffenden Männer, Frauen und Kinder meist mit Macheten hingemetzelt. Innerhalb weniger Wochen wurden so bis August 1994 mindestens 800 000 Menschen ermordet. In vielen Ländern und Regionen der Welt kam es ebenfalls zu Völkermorden. Darüber, ob diese oder manche von ihnen mit dem Holocaust vergleichbar sind, gehen die Meinungen auseinander. Viele sehen einen fundamentalen Unterschied zwischen dem Holocaust und anderen Völkermorden in der Tötung mit Hilfe der Gaskammern, was sie als einen quasi industriellen Massenmord betrachten, der eine andere Qualität habe.