Religiosität als tragende Kraft zur Bewältigung und Integration von existenziellen krisenhaften Prozessen

Ein wesentlicher Beweggrund, sich einer geistig-religiösen Schulung zu unterziehen bzw. diese aufzunehmen, ist, sich dieser im Sinne einer Coping-Strategie zu nähern und sie in dieser Weise für sich einzusetzen. Es geht dabei um die Bewältigung von schweren Lebenserfahrungen, also im weitesten Sinn um Krisen, und diese gehen oft einher mit Empfindungen von Ausgeliefertsein, Ohnmachtsund Versagensgefühlen, Kontrollverlust, Hoffnungslosigkeit, Trauer und Angst (insbesondere Zukunftsängste). Es geht aber auch um grundsätzliche existenzielle Fragen, die uns Menschen unser Leben lang begleiten und die keine letztendliche, endgültige Beantwortung finden, sondern vielleicht immer wieder nur vorübergehende Antwortversuche, die eine Zeitlang tragen, bei neuen Entwicklungsschritten aufbrechen und sich als unzureichend erweisen. Die Religionspsychologie beschreibt insbesondere Kontrollversuche durch Magie, Bittgebete, das Unterwerfen unter eine ‚größere Macht als man selbst', die Bewältigung von schwerer körperlicher Krankheit, von Angst und von Verlusterfahrungen als zentrale Coping-Strategien im Zusammenhang mit Religiosität (vgl. Grom, 2007).

Eine weitere wichtige Ausrichtung, um Krisen bewältigen zu können, ist mit Hilfe eines spirituell-religiösen Kontextes wieder Sinnhaftigkeit und Stimmigkeit zu empfinden bzw. aufrecht zu erhalten. Antonovsky nennt dieses Empfinden ‚Kohärenz' (siehe dazu ausführlich im Theorieteil). In den drei Biographien begegnen uns sehr individuelle Lebenswege, die ab dem Zeitpunkt, zu dem die drei Frauen volljährig sind bzw. die Phase der schulischen Ausbildung bei Anna Paul und Almut Zenk, bei Katharina Wolf die erste kaufmännische Ausbildung, die sie noch auf Wunsch der Mutter absolviert hat, abgeschlossen haben, von den Protagonistinnen selbst als solche bewusst wahrgenommen werden. Es gibt bei ihnen eine Entwicklung in Richtung hin zu größerer Selbstbestimmtheit. Ein Empfinden von Stimmigkeit ihrer Lebensführung und -gestaltung entsteht aus einer zunehmend differenzierteren Wahrnehmung ihrer persönlichen Bedürfnisse. Die Außenorientierung an Merkmalen wie beruflicher Erfolg, Karriere oder auch im Sinn einer Orientierung an konservativen Rollenmodellen von Frauen, die ‚selbstverständlich' eine feste Partnerschaft beginnen mit dem Ziel, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen, evtl. noch Bau oder Erwerb einer Immobilie, scheint für die Biographieträgerinnen nicht wesentlich zu sein.

Die Biographieträgerinnen der Einzelfallanalysen haben in ihrem Leben, entweder bereits in der frühen Kindheit oder spätestens als Jugendliche bzw. junge Erwachsene, einen für sie wichtigen Menschen durch den Tod verloren und mussten sich so früh in ihrem Leben mit Krankheit, Sterben und Tod auseinander setzen.

 
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