Merkmale guten Unterrichts
Helmke (2002) unterscheidet bei der Beschäftigung mit Merkmalen der Unterrichtsqualität lehrbzw. kompetenzorientierte von lernorientierten Perspektiven, bei denen aus Lernmodellen abgeleitet wird, wie der Unterricht aussehen müsste, um lernförderlich zu sein. Der vorliegende Abschnitt listet zunächst einige Merkmale guten Unterrichts auf, die sich aus Lernmodellen ableiten lassen (2.3.1), bevor auf die klassischen Merkmalskataloge guten Unterrichts eingegangen wird, die in der Didaktik oder im Rahmen der Lehr-Lernforschung entwickelt wurden (2.3.2).
Ableitung von Merkmalen guten Unterrichts aus Modellen des Lernens
Im Unterricht sind auf der einen Seite Lernaktivitäten der Schülerinnen und Schüler zu beobachten, auf der anderen Seite aber auch Lehrhandlungen, also „alle Aktivitäten der Lehrperson im Unterricht, die darauf zielen, Lernaktivitäten beim Lernenden anzuregen oder zu unterstützen“ (Tulodziecki, Herzig & Blömeke, 2009, S. 145). „Lernen unter kognitivem Aspekt bezeichnet das Insgesamt der Prozesse zur Aufnahme, Kodierung und Speicherung von Information" (Huber & Rost 1980, S. 38). „Als Lehren (engl. teaching) wird das didaktisch geplante und damit auf systematischen Wissensund Könnenserwerb von Schülern gerichtete Handeln einer Lehrperson im Unterricht bezeichnet“ (Arnold, 2006, S. 39). Als Voraussetzung für wirkungsvollen Unterricht wird eine passgenaue Interaktion von Lehrperson und Lernenden, von Lernund Lehraktivitäten, angesehen (Tulodziecki et al., 2009). Sogenannte Instruktionstheorien leiten ausgehend von Theorien des Lernens Annahmen über effektive Lehre bzw. guten Unterricht ab (Leutner, 2010) und verstehen damit „Lehren als Lernförderung“ (Gold, 2008, S. 245). Verschiedene Autoren haben Ansätze zum Lernen und Lehren systematisiert und daraus Rahmentheorien zu deren Strukturierung entwickelt (Niegemann, 2010), von denen hier nur ausgewählte Ansätze vorgestellt werden können.
Beispielsweise können nach Shuell (1996) zwölf Lernfunktionen identifiziert werden, die für den Lernerfolg entscheidend sind und vom Lerner vollzogen bzw. durch dessen Umgebung angeregt werden müssen: das Generieren von Erwartungen, Motivation, die Aktivierung von Vorwissen, Aufmerksamkeit, Enkodieren, Vergleichen, die Generierung von Hypothesen, Wiederholung, Rückmeldung, Bewertung, Überprüfung sowie die Kombination, Integration und Synthese des Gelernten.
Auch Hasselhorn und Gold (2009) fassen drei wichtige Bedingungen der Informationsverarbeitung beim Wissenserwerb zusammen. Demnach muss der Lernende zunächst dazu angeregt werden, die Aufmerksamkeit auf den Lerninhalt zu richten. Weiterhin muss eine hinreichende Wiederholung und Übung der relevanten Information stattfinden und schließlich sollten neue Wissenselemente mit bereits vorhandenem Wissen verknüpft werden.
Renkl (2009) stellt eine „Taxonomie lernbezogener Funktionen der Informationsverarbeitung im Arbeitsgedächtnis“ (S. 10) vor. Nach dieser sollen die Verarbeitungsprozesse für den effektiven Wissenserwerb vor allem die folgenden Funktionen erfüllen: Eingehende Informationen werden interpretiert, wobei die Lehrperson die Qualität dieser Interpretation beispielsweise durch die bewusste Aktivierung von Vorwissen beeinflussen kann (vgl. auch Krause & Stark, 2006). Des Weiteren müssen relevante Informationen selegiert werden und die Zusammenhänge sollten bewusst gemacht und organisiert werden. Außerdem sollte Elaboration, also die Integration in vorhandene Wissensstrukturen, erfolgen und Gedächtnisinhalte und deren Verknüpfungen sollten beispielsweise durch Wiederholung und Übung gestärkt und automatisiert werden. Schließlich sollten auch neue Informationen generiert werden, indem beispielsweise Schlüsse gezogen werden oder mehrere einzelne Aspekte zu Schemata verdichtet werden. Neben diesen direkt auf den Wissenserwerb bezogenen Funktionen, sollte auch metakognitives Planen, Überwachen und Regulieren stattfinden. Auch diese Aspekte sollten also von der Lehrperson beachtet werden, um effektives Lernen zu ermöglichen (vgl. auch Renkl, 2008; Weinstein & Mayer; 1986).
Rosenshine (1995, vgl. auch Rosenshine & Stevens, 1986) leitet aus elementaren Annahmen zum Lernprozess Schlussfolgerungen für guten Unterricht ab, wobei er insbesondere die Bedeutung von gut verknüpften Wissensstrukturen betont. Daher sollten Schülerinnen und Schüler vor allem darin unterstützt werden, Hintergrundwissen aufzubauen, indem beispielsweise gelesen, diskutiert und geübt wird. Außerdem sollten tiefergehende Verarbeitungsprozesse angeregt werden. Als Beispiel nennt Rosenshine (1995) hier, dass die Qualität der Wissensspeicherung vermutlich höher ist, wenn Lernende einen Text zusammenfassen als wenn ein Text einfach nur gelesen wird. Weiterhin sollten die Schülerinnen und Schüler darin unterstützt werden, das erworbene Wissen sinnvoll zu organisieren.
Klauer und Leutner (2007; vgl. auch Leutner, 2010) systematisieren Lehr-Lernprozesse präskriptiv in ihrem Modell der Lehrfunktionen in Anlehnung an Gagnés neun Lehr-Lernschritte (instructional events; Gagné, Briggs & Wager, 1992). Sie verstehen dabei Lehrfunktionen als „diejenigen Effekte von Lehrtätigkeiten, die notwendig sind, um das Lerngeschehen in Gang zu setzen, in Gang zu halten und auf ein bestimmtes Lehrziel hin auszurichten“ (Leutner, 2010, S 293). Um zielorientiertes Lehren und Lernen zu ermöglichen, sollten folgende Lehrfunktionen realisiert sein: Die Schülerinnen und Schüler sollten grundlegend motiviert sein und die Informationen müssen verfügbar sein, damit sie aufgenommen, verarbeitet, verstanden, gespeichert, abgerufen und angewendet werden können. Dieser Prozess sollte zusätzlich metakognitiv überwacht und gesteuert werden (Klauer & Leutner, 2007; Leutner, 2010). Daraus leitet Leutner (2010) folgende Empfehlungen für den Unterricht ab: Die Lehrperson sollte „(1) die Aufmerksamkeit der Lernenden gewinnen; (2) die Lernenden über das Ziel der Unterrichtsoder Ausbildungseinheit informieren; (3) relevantes Vorwissen aktivieren; (4) den Lehrstoff mit Hinweis auf bedeutsame Eigenschaften präsentieren; (5) den Lernprozess anleiten; (6) den Lernenden das im Lehrziel geforderte Verhalten ausführen lassen; (7) den Lernenden über die Richtigkeit des Verhaltens informieren und ggf. die Schritte (4) bis (6) wiederholen; (8) die Leistung des Lernenden abschließend beurteilen; (9) das Behalten und den Transfer des Gelernten unterstützen durch weiteres Üben, insbesondere auch in wechselnden Kontexten“ (S 293).
Einsiedler (2005) und Weinert (1996) bemerken zu solchen Instruktionstheorien allerdings einschränkend, dass Lehrtheorien nicht einfach aus Lerntheorien ableitbar seien, da Lerntheorien aus Deskriptionen, Lehrtheorien aber aus Präskriptionen bestünden. Dennoch betont Leutner (2010), dass Instruktionstheorien als Rahmentheorien verstanden und genutzt werden können (vgl. auch Klauer & Leutner, 2007). Im Folgenden werden als sinnvolle Ergänzung zu den Instruktionstheorien Merkmale guten Unterrichts aus Sicht der Didaktik und Unterrichtsforschung beschrieben.