Könnten die Kinder der namhaftesten Mafiosi die Cosa Nostra retten?
Die Kinder mancher Mafiabosse sind heute angesehene Freiberufler, Rechtsanwälte oder Notare. Andere haben im Ausland studiert und unterrichten jetzt Geschichte oder Rechtswissenschaften an den besten amerikanischen Universitäten. Wieder andere, die jüngsten, besuchen die besten Schulen Palermos.
Dann gibt es noch die »Vorbelasteten«, die einen zu gewichtigen Namen haben, um sich Hoffnung auf ein normales Leben machen zu können: die Söhne Toto Riinas beispielsweise. Der eine, Giovanni, ist dreißig und schon zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der andere, Salvo, ist - kaum volljährig - wegen Zugehörigkeit zu einer mafiaartigen Vereinigung ins Gefängnis gewandert. Er wird wieder herauskommen. Doch wo soll er mit diesem Namen hin, und was wird er je aus seinem Leben machen können? Wenn er kein Mafioso wird, werden ihn seine mafiosen Landsleute verachten; wird er Mafioso, landet er schnell wieder im Gefängnis. Er wird sein ganzes Leben lang unter Beobachtung stehen, auf Schritt und Tritt.
Auch die Kinder Bernardo Provenzanos werden lebenslang gebrandmarkt bleiben, obwohl es ihnen anders erging als den Söhnen Totö Riinas. Gebrandmarkt sind auch die Spadaro aus der Kalsa, die Ganci aus dem Noce-Viertel und die Madonia aus Resuttana - die gesamte Mafia, die noch als solche in Erscheinung tritt: Die gewalttätige Mafia, die wir kennengelernt haben. Es werden sich wohl nur die retten können, die die Möglichkeit hatten, sich zu entscheiden; wer studiert und beizeiten verstanden hat, dass er nicht ein Leben führen kann wie sein Vater.
Vor ein paar Jahren habe ich den Neffen eines großen Bosses aus der Gegend von Agrigent kennengelernt, der in großen Teilen Westsiziliens das Kommando führte. Er wusste, dass ich mich als Journalist mit der Mafia befasste, er hatte viele meiner Berichte gelesen, er »verfolgte« mich mit einem gewissen Interesse. Wir aßen zusammen in einer Trattoria auf dem Land bei Buonfornello am Fuße des Madonien-Gebirges. Auch ein Verwandter Salvatore Riinas war dabei: Damals versuchte ich gerade, seine Tochter Maria
Concetta zu interviewen. Während wir so redeten, erinnerte mich der Neffe des Bosses an einen Artikel, den ich vor langer Zeit über die Ermordung Rosario Livatinos geschrieben hatte. Der Richter, der keinen Begleitschutz hatte, wurde von bewaffneten Killern an einer Böschung eingeholt und in einer Schlucht ermordet. Der Neffe des Bosses erinnerte sich an den Hergang des Verbrechens: »Livatino rannte und rannte ...«. Ich bekam eine Gänsehaut. Doch dann fügte er hinzu: »Die Zeiten haben sich geändert, und für Leute wie mich gibt es keinen Platz mehr, man weiß nicht mehr, wohin. Die Welt ist eine andere geworden, mit uns hat es keinen Sinn mehr. Leute mit meinem Namen müssen sich verändern, wenn sie überleben wollen.«
Man wird sehen, ob sie sich wirklich für ein anderes Leben entscheiden oder ob sie nur die Kleider wechseln und versuchen, sich eine neue Fassade zu geben.