Kann man das Stundengebet in unserer schnelllebigen Zeit noch praktizieren?

Bis ins frühe Mittelalter galt ein für Kleriker und Mönche gleichennaßen festgelegter Rhythmus von Tagesgebeten und weiteren Gebeten, die man zu bestimmten Ereignissen des Kirchenjahres sprach. Seit der Karolingerzeit gibt es für die Gebetszeiten der Weltgeistlichen die römische Ordnung und für die Ordensleute eine Ordnung, die sich nach den Vorgaben der Benediktsregel richtet. Im Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) wurden die täglichen Stundengebete reduziert, und jedem Kloster blieb die Entscheidung überlassen, wie häufig und wann es seine Gebetszeiten durchführt.

Das erste Gebet am Morgen ist die Morgenhore, das letzte am Abend die Komplet (siehe auch Frage 39). Zentrales Element der Stundengebete ist die Rezitation von Psalmen, daneben gibt es Lesungen, Wechselgesänge, Hymnen und Gebete. In der Regel wird die Arbeit fünf- bis sechsmal täglich durch die Stundengebete unterbrochen, die jeweils zwischen zwanzig und dreißig Minuten dauern. Rund drei Stunden verbringen die meisten Nonnen und Mönche täglich beim Gebet. In manchen Orden, beispielsweise den Anbetungsorden, ist der Zeitbedarf wesentlich höher.

13 Kapitel widmet der heilige Benedikt in seiner Regel der Ordnung, der zeitlichen Abfolge, der Anzahl, dem Inhalt und der Ausführung der Gebete. «Überall ist Gott gegenwärtig, so glauben wir, und die Augen des Herrn schauen an jedem Ort auf das Gute und Böse ... Beachten wir also, wie wir vor dem Angesicht Gottes und seiner Engel sein müssen, und stehen wir so beim Psalmensingen, dass Herz und Stimme im Einklang sind.» (Regel

Benedikt, Kap. 19, 1 u. 6f.) Wie soll das der heutige Mönch, wie die Schwester des einundzwanzigsten Jahrhunderts bewerkstelligen, wenn die Anforderungen so umfassend sind, wie in Frage 74 geschildert?

Die Konzentration auf das Gebet gelingt nicht immer, wie Ordensleute offen zugeben, aber sie gelingt umso besser, je häufiger man das Gebet praktiziert. Erfahrene Konventmitglieder haben kein Problem damit, sich innerhalb weniger Minuten von der Arbeit ab- und dem Gebet zuzuwenden. Ich habe das bei vielen Klosteraufenthalten immer wieder erlebt. Für die Nonnen und Mönche ist das Abtauchen in den Dialog mit Gott eine Erholungsphase im Tagesablauf, auf die sie ungern verzichten. Das gemeinsame Rezitieren der Psalmen und Gebete hat durch die häufigen Wiederholungen ein meditatives Element und vermittelt so Ruhe und Gelassenheit. Erfahrene Ordensleute sind in der Lage, auf Reisen auch in einem hektischen Umfeld in dieses Zwiegespräch mit Gott einzutauchen.

 
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