Warum ist Mathematik so schwer zu lernen?
Man kann sich der Mathematik auf zwei Weisen nähern, nämlich durch Auswendiglernen oder durch Denken. Beides ist schwierig.
Man kann einerseits so vorgehen, wie viele Schülerinnen und Schüler dies gerne machen: Man lernt die Verfahren, die Formeln, die Aufgaben auswendig und versucht dann, das Auswendiggelernte in den Klausuren anzubringen. Dieser Weg ist mühsam, gefährlich und unbefriedigend. Mühsam, weil man die Formeln ohne Sinn und Verstand auswendig lernt wie ein chinesisches Gedicht. Gefährlich, weil man furchtbar leicht danebentappt: Man versucht es mit der falschen Formel, man vergisst ein kleines, aber entscheidendes Teil, oder man setzt eine Zahl falsch ein - und schon ist alles falsch. Unbefriedigend ist diese Methode, weil man trotz enormem Aufwand beim Auswendiglernen kaum kalkulierbare Erfolgserlebnisse hat. Letztlich herrscht ein sehr unsicheres Verhältnis von Aufwand und Wirkung.
Man könnte aber auch ganz anders vorgehen und versuchen, die mathematischen Verfahren zu verstehen. Dies bedeutet zu überlegen, nachzudenken und seinen Verstand einzusetzen. Es ist ebenfalls mühsam, aber Erfolg versprechend und außerordentlich befriedigend. Bei dieser Methode ist der Erfolg viel sicherer. Denn hat man etwas verstanden, können keine «dummen Fehler» passieren. Teile einer Formel werden nicht «vergessen», wenn man verstanden hat, dass diese dazugehören müssen. Befriedigend ist diese Methode nicht nur, weil man mehr Erfolge hat, sondern auch deswegen, weil man diese Erfolge selbst erzielt und sie nicht nur Zufallstreffer sind, weil man Glück gehabt hat.
Merke, was der große Mathematiker Carl Friedrich Gauß sagt: «Es ist nicht das Wissen, sondern das Lernen, nicht das Besitzen, sondern das Erwerben, nicht das Dasein, sondern das Hinkommen, was den größten Genuss gewährt.»
Mathematik ist eine kulturelle Errungenschaft, deren Erlernen sich gut mit dem Lernen der Muttersprache vergleichen lässt. Sprechen lernt man, indem man mit Menschen spricht, die schon sprechen können. Entsprechend lernt man Mathematik, indem man Mathematik macht mit Menschen, die das schon können. Man könnte sich vorstellen, dass dies so unkompliziert und lustbetont erfolgt wie das Sprechenlernen, bei dem man sich der zugrunde liegenden Strukturen (Grammatik etc.) erst dann bewusst wird, wenn man schon fehlerfrei sprechen kann. Die Tradition des Mathematiklernens ist eine andere. Mathematiklehrerinnen und -lehrer haben zunächst nicht das Ziel, mit ihren Schülerinnen und Schülern gemeinsam Mathematik zu machen, sondern sie müssen ihnen etwas «beibringen».