Welches ist die schönste Formel?
Im Jahr 1988 forderte die Zeitschrift The Mathematical Intelligencer ihre Leser auf, den ihrer Meinung nach schönsten Satz zu nennen. Diese Umfrage hatte einen klaren Sieger. Die Formel, die eindeutig den ersten Platz belegte, lautet:
ebr =
In Worten: e hoch i mal n gleich minus eins. Manche Mathematiker finden die folgende Form der Formel noch attraktiver:
e1Jl +1 = 0.
Weshalb finden Mathematiker diese Formel schön?
Eine erste Antwort ist klar: In der Formel kommen die fünf wichtigsten Zahlen der Mathematik vor: 0, 1, die Kreiszahl n, die Euler’sche Zahl e und die imaginäre Einheit i. Das kann jeder nachvollziehen.
Wenn man aber fragt, was die Formel bedeutet oder, vorsichtiger, was der Ausdruck «e hoch in» überhaupt bedeuten soll, dann wird es schwierig.
Wir versuchen es ganz einfach: Die Zahl e ist etwa 2,718. Man kann sich gut vorstellen, was e3 ist; das ist e mal e mal e, das gibt etwa 20. Und was ist eT? Da ji etwa gleich 3,14 ist, wird en ein bisschen größer als e3 sein. Tatsächlich, der Taschenrechner sagt: e71 ist etwa 23,1. Aber wie kann man mit i potenzieren? Die Zahl i ist die imaginäre Einheit, sie ist die Wurzel aus —1, und schon das ist schwer vorzustellen. Und wie soll man eine Zahl mit Wurzel aus — 1 potenzieren? Nun, dafür gibt es eine Formel. Die lautet so: Für jeden Winkel (|) gilt e1^ = cos((()) + i x sin((j)). Was auf der rechten Seite des Gleichheitszeichens steht, macht Sinn. Denn cos((|)) und sin(cj)) sind reelle Zahlen, also ist cos((()) + i x sin(<()) eine bestimmte komplexe Zahl. Wenn man für das allgemeine (j) das spezielle n einsetzt, ergibt die rechte Seite — 1 + i x 0 = —1. Also gilt tatsächlich eln = — 1.
Ich fürchte, Ihnen geht es wie mir: Im Grunde erschließt sich die innere Schönheit dieser Formel nur für Insider. Die Reaktion der Nichtinitiierten schwankt zwischen unverstandener Bewunderung und verständnislosem Kopfschütteln.
Schauen wir auf Platz zwei der ewigen Schönheitsliste. Mit diesem Satz können wir uns leichter anfreunden. Es handelt sich ebenfalls um eine Formel, sie stammt gleichermaßen von Leonhard Euler, und auch in ihr kommen drei Buchstaben vor. Diese stehen aber nicht für bestimmte Zahlen, sondern sind Variablen. Die Formel lautet e — k + f=2. Das ist einfach: Wenn wir wissen, welchen Wert e, k und f haben, können wir die Zahl e — k + f ausrechnen und uns überzeugen, dass das Ergebnis gleich 2 ist.
Die Formel stammt aus der Geometrie, aus der räumlichen Geometrie, genauer gesagt, aus der Welt der «Polyeder». Deswegen heißt die Formel auch die «Euler’sche Polyederformel». Polyeder (Vielflächner) sind Körper wie der Würfel oder eine Pyramide, bei denen man Ecken, Kanten und Flächen unterscheiden kann. Die Kugel ist kein Polyeder, aber der klassische Schwarz-Weiß-Fußball schon. Bei einem Polyeder bezeichnet man mit e, k und f die Anzahlen der Ecken, Kanten und Flächen. Die Euler’sche Formel zeigt, dass diese Zahlen in einem ganz einfach auszudrückenden Zusammenhang stehen.
Der Würfel hat 8 Ecken, 12 Kanten und 6 Seitenflächen, und in der Tat gilt 8 — 12 + 6 = 2. Natürlich ist die Formel nicht nur dazu da zu bestätigen, was wir schon wissen, sondern vor allem, um auszurechnen, was wir noch nicht wissen.
Der klassische Fußball besteht aus Fünfecken und Sechsecken, und zwar aus 12 in der Regel schwarzen Fünfecken und 20 weißen Sechsecken, also ist f=32. Da jedes der 12 Fünfecke genau 5 Ecken hat und keine zwei Fünfecke eine Ecke gemeinsam haben, hat der Fußball genau 12 mal 5 gleich 60 Ecken, es ist also e = 60. Wenn wir nun wissen wollen, wie viele Kanten der Fußball hat, brauchen wir die Euler’sche Formel nur umzustellen und erhalten k=e + f—2 = 90. Das ist viel einfacher zu berechnen, als die Kanten eines Fußballs zu zählen!
Wie jeder mathematische Satz hat auch die Euler’sche Polyederformel eine Voraussetzung. Sie gilt für alle konvexen Polyeder. Ein Körper ist «konvex», wenn er keine Einbuchtungen und keine herausstehenden Zacken hat. Weihnachtssterne sind nicht konvex, darauf lässt sich die Formel nicht anwenden, aber für jeden der unübersehbar vielen konvexen Polyeder gilt sie.
Nicht nur eine wunderschön einfache, sondern auch eine außerordentlich nützliche Formel!