Implikationen für den Leseunterricht aus Zusammenfassungen des Forschungsstands

Von zahlreichen Autoren werden auf Basis von Zusammenfassungen des Forschungsstands verschiedenste Aspekte guten Leseunterrichts aufgezählt (z. B. Mazzoni & Gambrell, 2003; Glasgow & Farrell, 2007; Taylor, Pressley & Pearson, 2002). Duke und Pearson (2002) nennen als Merkmale guten Leseunterrichts zusammenfassend einen hohen Anteil echter Lernzeit, das Lesen „echter“ Texte aus „echten“ Gründen, das Lesen verschiedener Texte, die Diskussion von Wörtern und ihrer Bedeutung sowie qualitativ hochwertige Gespräche. Nach Christie, Enz und Vukelich (2007) zeichnen sich gute Leselehrer dadurch aus, dass sie den Leseprozess und dessen psychologische Komponenten verstehen, dass sie die Lesezeit maximieren, eine Vielfalt von Leseaktivitäten realisieren, das Material gut auswählen, ihre Schülerinnen und Schüler gut einzuschätzen vermögen und ihren Unterricht daran anpassen. Weiterhin vermitteln sie explizit jene Fertigkeiten, welche die Forschung als relevant für die Leseförderung herausgestellt hat. So demonstrieren und modellieren erfolgreiche Lehrkräfte beispielsweise Strategien und gehen dabei nach dem Prinzip des Scaffolding vor. Zudem reflektieren sie regelmäßig ihre didaktischen Entscheidungen.

Aus ihrer Zusammenfassung von Studien zur Verstehensinstruktion in den ersten Schuljahren schlussfolgern Collins Block und Lacina (2009), dass folgende Merkmale von Bedeutung sind: die Schülerinnen und Schüler werden zum lauten Denken angeregt, es findet Modeling und Scaffolding statt, Übungen werden angeleitet, die Selbstregulation der Schülerinnen und Schüler wird gefördert, den Schülerinnen und Schülern wird Zeit gegeben, ihre Lernbedürfnisse zu äußern, es wird ausgiebig gelesen und viel Wert auf die Verbesserung von Wortschatz und Dekodierfähigkeiten gelegt und es werden verschiedene Textsorten kennengelernt.

Taylor (2007) unterscheidet in seinen forschungsbasierten Empfehlungen zwischen dem

„What“ und „How“ (S. 1) für einen effektiven frühen Leseunterricht (vgl. auch Taylor, Peterson, Pearson & Rodriguez, 2002; Blair, Rupley & Nichols, 2007). Zu den wichtigen Inhalten („What“) guten Leseunterrichts zählt er die Förderung phonologischer Bewusstheit und phonematischen Wissens, Übungen zur Leseflüssigkeit, zum Wortschatz, die Instruktion von Verstehensstrategien sowie anregende Gespräche und Schreiben zu den gelesenen Texten und Differenzierung (wobei die beiden letztgenannten Aspekte eigentlich eher zum „How“ gezählt werden müssten). Das „Wie“ eines guten Leseunterrichts wird wie folgt beschrieben: Es sollte Klarheit über das Leseziel bestehen und von Seiten der Lehrperson auf individuelle Bedürfnisse eingegangen werden. Ziel ist es, die Schülerinnen und Schüler intellektuell herauszufordern. Dabei sollte sowohl Arbeiten in Gruppen als auch individuelles Lesen stattfinden sowie ein ausgewogenes Maß zwischen lehrerund schülerzentrierten Arbeitsphasen.

Auf Basis einer Zusammenfassung von 28 Studien zum Leseunterricht schlussfolgern Alvermann, Simpson und Fitzgerald (2009), dass effektive Lehrpersonen für die Altersstufe vom Kindergarten bis zur fünften Klasse einen ausgewogenen Unterrichtsstil realisieren, in dessen Rahmen die Schülerinnen und Schüler wichtige Teilprozesse des Lesens, aber auch generelle Fähigkeiten und Einstellungen erwerben. Außerdem wird die Selbstregulation der Lernenden gefördert, die Instruktionsdichte ist hoch, es wird das Arbeiten in Gruppen und das eigenständige Lesen gefördert, die Lehrpersonen fungieren als Coach und stellen anspruchsvolle Fragen.

Als besonders wichtige Punkte für die unterrichtliche Leseförderung heben Artelt und Kollegen (2007) folgende Aspekte hervor, die sich aus der Leseund Unterrichtsforschung ableiten lassen: Lehrpersonen sollten dazu befähigt werden, „Strategien der Textbearbeitung so zu vermitteln, dass Schüler/innen davon einen Nutzen haben“ (S. 66). Weiterhin ist es notwendig, dass Lehrpersonen lernen, den Anspruch von Aufgaben richtig einzuschätzen, um sinnvolle Leseaufgaben zu konstruieren (vgl. auch Köster, 2005). „Woran es mangelt, sind Aufgaben mittlerer Offenheit und mittlerer Komplexität (also Aufgaben mittleren Schwierigkeitsgrads), die orientierende Vorgaben machen und zugleich die Komplexität der geistigen Operationen reduzieren. Diese Aufgaben sind von besonderem Interesse, weil sie hierarchiehohe Leseraktivitäten auf mittlerem und niedrigerem Niveau ermöglichen“ (Artelt et al., 2007, S. 66-67). Die Auswahl passender Lesetexte gehört hierzu ebenso wie die Konstruktion sinnvoller Aufgaben zur Bearbeitung der Texte. Zur Unterrichtspraxis schlagen Artelt und Kollegen (2007) vor, die Lernenden Aufgaben eher in Schülerarbeitsphasen bearbeiten zu lassen und das Unterrichtsgespräch anschließend zur Diskussion verschiedener Lösungen zu nutzen. Ein zu starker Fokus auf öffentliche Unterrichtsphasen, insbesondere in der Phase der Aufgabenlösung, ist vor allem für leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler dysfunktional. Insgesamt wird also die Bedeutung von guten Aufgabenstellungen und sinnvollen Lesetexten für den Leseunterricht betont (Artelt et al., 2007; Dörksen, 2004; Eikenbusch, 2007; Leisen, 2007; Köster, 2007; Pang et al., 2003; Westphal Irwin, 1991), wobei hier verschiedenartige Vorschläge zur Aufgabenqualität gemacht werden (vgl. auch 6.2.2). Auch die Lernunterstützung und das Feedback werden oft als wichtiges Merkmal des Leseunterrichts hervorgehoben (Baurmann & Müller, 2005; Carnine et al., 2010; Christie et al., 2007; Dehn & Hüttis-Graff, 2006; Pang et al., 2003; Pianta, 2006).

Auch aus Förderprogrammen zum Lesen (für einen Überblick vgl. z. B. Artelt et al., 2007; McElvany, 2008; Schreblowski, 2004; Lenhard, 2009) lassen sich Aspekte guten Leseunterrichts ableiten. Diese Programme fokussieren meist auf das verstehende Lesen, vermitteln Strategien und nutzen oft kooperative Methoden. Häufig versuchen sie zusätzlich die Lesemotivation und/oder die Metakognition der Lernenden zu erhöhen (zsf. Artelt et al., 2007; Schreblowski, 2004), sodass hieraus ableitbar ist, dass auch diese Komponenten für einen effektiven Leseunterricht bedeutsam sein dürften.

 
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