Gehört Taiwan zu China?
Taiwan ist wohl schon vor mindestens sechstausend Jahren von Menschen besiedelt worden, die heute zu den austronesischen Völkern gezählt werden. Zwar kamen seit dem Ende des 1. Jahrtausends v. Chr. vereinzelt Chinesen auf die Insel, doch begann erst im 12. und 13. Jahrhundert eine dünne chinesische Besiedelung. Als die Portugiesen Taiwan 1583 entdeckten und auf den Namen Ilha Formosa («Die schöne Insel») tauften, gab es also zwar eine schwache chinesische Präsenz, doch gehörte die Insel nicht zum Reich auf dem Festland. Die niederländische Ostindienkompanie besetzte 1624 den Süden der Insel und erweiterte ihren Einflussbereich bis 1641 über einen Großteil der Gesamtfläche, während gleichzeitig chinesische Siedler eintrafen. Die Europäer versuchten unter der einheimischen Bevölkerung zu missionieren, wurden aber schon 1662 von Zheng Chenggong, einem von der japanischen Insel Hirado stammenden Sohn chinesisch-japanischer Eltern, vertrieben. Dieser hatte zuvor im maritimen südostasiatischen Raum Handel und Piraterie getrieben und war dann 1645 für seine Unterstützung der Ming-Dynastie gegen die Mandschuren von den überlebenden Ming mit dem Titel «Exzellenz mit dem Namen der Reichsfamilie» (Guoxingye; die Niederländer verstanden diesen Namen übrigens als «Koxinga») ausgezeichnet worden. Zheng Chenggong errichtete auf Taiwan eine Dynastie, die jedoch schon 1683 von der mandschurischen Qing-Dynastie gestürzt wurde. Die Mandschuren interessierten sich nicht übermäßig für Taiwan, das sie nominell an die auf der anderen Seite der Taiwan-Straße liegende Provinz Fujian angliederten. In den nächsten 200 Jahren entwickelte sich die Insel zu einem Fluchtpunkt für Fujianesen, die sich dem Zugriff der Dynastie entziehen wollten. In dieser Zeit wurde Taiwan massiv von der Kultur Fujians geprägt. Vor allem brachten die Einwanderer ihre Sprache mit: Was heute auf Taiwan offiziell, wenn auch etwas irreführend, als «taiwanesisch» bezeichnet wird (gerechterweise müssten so die Sprachen der Ureinwohner heißen), ist im Grunde nichts anderes als einer der Hokkien-Dialekte, die in Fujian gesprochen werden. Allerdings ist dieser vom Hochchinesischen weiter entfernt als viele indoeuropäische Sprachen voneinander.
Erst im Jahr 1887 begann sich das Qing-Reich der wichtigen Stellung Taiwans bewusst zu werden und erhob es zur Provinz, die damals etwa 2, 5 Millionen Einwohner umfasste. Diesen Status behielt die Insel nur für 8 Jahre, nach dem chinesisch-japanischen Krieg 1894/95 wurde sie bis 1945 japanische Kolonie. Spuren der Kolonialzeit sind auf Taiwan bis heute sichtbar, und trotz der Kolonialpolitik hält sich eine gewisse Verbundenheit mit Japan. Als die Besatzer 1945 abziehen mussten, marschierte die Guomindang Chiang Kai-sheks auf der Insel ein. Deren Herrschaft stellte sich schnell als härter heraus als diejenige der Japaner. Am 28. Februar 1947 brach deshalb ein Aufstand aus, der militärisch niedergeschlagen wurde und zur Verhängung des Kriegsrechts führte, das bis zum Jahr 1987 bestehen blieb. 1949 floh Chiang Kai-shek mit an die zwei Millionen seiner Anhänger nach Taiwan. Die Bevölkerung schnellte von knapp 6 Millionen Einwohnern auf über 7,5 Millionen empor. Erst durch dieses Ereignis erhielt die Insel ein nennenswertes nordchinesisches Element, das alsbald die Führungsrolle beanspruchte. Dennoch sprechen auch heute etwa 70 Prozent der mittlerweile 23 Millionen Taiwanesen Fujianesisch (oder «Hokkien») und weitere 10 Prozent andere südchinesische Dialekte wie Kantonesisch oder Hakka. Aufgrund dieser Tatsache und auch wegen der Demokratisierung, die seit 1987 stattgefunden hat, gibt es bei Teilen der Inselbevölkerung ein starkes Gefühl der nationalen Eigenständigkeit, das Rufe nach Unabhängigkeit von China hat laut werden lassen.