Wie ist das Verhältnis zu den Großmächten der Welt?
Obwohl sich die Volksrepublik China in den 1950er Jahren eng an die Sowjetunion anlehnte, schien für gute Beobachter von vornherein klar, dass diese Verbindung überaus zwiespältig war, ließ sich doch die damit verbundene Unterordnung mit dem chinesischen Selbstwertgefühl kaum vereinbaren. Der Bruch zu Beginn der sechziger Jahre hatte aber auch völkerrechtliche Ursachen. Russland und das mandschurische Kaiserreich hatten eine lange gemeinsame Grenze gehabt, und China beanspruchte große Teile eines Territoriums, das Russland während seiner Expansion bis ins 19. Jahrhundert vor allem in der Mandschurei und in Zentralasien annektiert hatte.
Schon vor dem offiziellen Abbruch der Beziehungen hatte sich die
Volksrepublik China 1955 auf der Konferenz von Bandung zum Advokaten der Länder der «Dritten Welt» gemacht, eine Position, die später die Grundlinie ihrer Außenpolitik werden sollte: Man unterschied zwischen den Weltmächten USA und Sowjetunion auf der einen, deren Alliierten auf der anderen und den blockfreien Entwicklungsländern auf der dritten Seite. Bis heute verweist China im Dialog mit internationalen Geldgebern gerne - und zu Recht -darauf, dass es trotz allen wirtschaftlichen und technischen Fortschritts auch noch Züge eines Entwicklungslandes trägt.
Während der Kulturrevolution galten der Volksrepublik China sowohl die USA als auch die UdSSR als imperialistische Feindstaaten. Doch schon 1972 leitete Richard Nixon mit seinem China-Besuch eine Wende ein, die schließlich zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Ländern führen sollte. Die 1980er Jahre waren gekennzeichnet von einer Frontstellung gegenüber der UdSSR bei sich gleichzeitig stetig verbessernden Beziehungen zu den USA und zur westlichen Welt. Für viele Chinesen wurde Amerika zum Traum von einer besseren Welt. Letztlich waren die Demonstrationen auf dem Tian’an men-Platz der Kulminationspunkt dieses Traumes. Sie fanden ironischerweise zu einem Zeitpunkt statt, als Michail Gorbatschow in Peking weilte, die Regierungen Russlands und Chinas ihre Grenzstreitigkeiten beilegten und eine weitreichende Kooperation vereinbarten. Doch hat die Niederschlagung der Proteste nicht den Effekt gehabt, dass sich das Volk auf die Seite der von den USA vertretenen Positionen geschlagen hätte. Vielmehr hat die amerikanische Politik, die Beziehungen nach diesen Ereignissen erst einmal einzufrieren - eine Politik, der viele europäische Staaten folgten, nicht aber die asiatischen Nachbarn -, das Gegenteil bewirkt: Enttäuschung über die Zurückweisung Chinas auf internationaler Bühne hat im chinesischen Volk eher ein Gefühl der Verletztheit hervorgerufen als einen Aufstand gegen die eigene Regierung. Angefangen mit der Taiwan-Politik der Clinton-Administration, ihrer Menschenrechtspolitik und den amerikanischen Kriegen des ausgehenden 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts hat eine Kette von Ereignissen dazu geführt, dass große Teile der chinesischen
Bevölkerung der offiziellen Position ihrer Regierung folgen und den USA kühl gegenüberstehen, obwohl der amerikanische Way of Life nach wie vor ein großes Vorbild darstellt. Dagegen sind die Beziehungen zu Russland heute von der Erkenntnis geprägt, dass es mehr gemeinsame Interessen als trennende Differenzen gibt. Echte Freundschaft aber herrscht nicht. Daher versucht die chinesische Regierung verstärkt, eine multipolare Außenpolitik zu betreiben und dritte Partner wie die Europäische Union aufzuwerten.