Wofür sparen die Chinesen?

Seit mehreren Jahren sorgt sich die chinesische Regierung darum, dass ihr Volk zu wenig Geld ausgibt. Obwohl Chinesen im Grunde gerne konsumieren, legen sie eine große Sparsamkeit an den Tag. Das hat zum einen mit Wünschen zu tun: Nachdem viele Angestellte in den 90er Jahren dazu gedrängt oder sogar gezwungen worden waren, den Staatsbetrieben die Wohnungen abzukaufen, in denen sie lebten - zu zwar verhältnismäßig günstigen Preisen, gleichzeitig aber auch unter strengen Einschränkungen für eine Wiederveräußerung -, hat sich die Mittelschicht in den großen Städten des Ostens auch den Wunsch nach den notwendigsten Haushaltsgeräten erfüllt. Der Gegenstand, der die Phantasie am meisten anregt, ist ein Auto, dessen Anschaffung ein realistisches Ziel ist. Seine Verwirklichung zwingt die Chinesen allerdings dazu, sonstige Ausgaben für den schnellen Konsum zurückzustellen.

Ein wichtigerer Grund für die Kaufzurückhaltung ist jedoch eine weitverbreitete Angst vor der Zukunft. Drei Bereiche vor allem legen Sparsamkeit nahe: Einerseits kostet die Vorsorge für das Alter viel Geld, da es bisher noch immer nur wenige Chinesen gibt, die eine Versicherung abgeschlossen haben, die ihr Geld wert ist, und überdies in den nächsten Jahren aufgrund der Einkindehe der Prozentsatz der

Alten an der Gesamtbevölkerung stark zunehmen wird. Für das Jahr 2040, in dem die Kinder der geburtenstarken Jahrgänge aus den 1970er Jahren die Rente erreicht haben werden, erwartet man sogar, dass mehr als ein Viertel aller Chinesen über sechzig Jahre alt sein wird. Ein zweiter Punkt sind die Wohnungen, die abbezahlt werden müssen. Vielleicht noch wichtiger als diese beiden Gründe sind die rapide ansteigenden Ausbildungskosten. Die Eltern einer ganzen Generation von Einzelkindern wünschen sich für ihren Nachwuchs die bestmöglichen Bedingungen. Bildung aber ist so teuer geworden, dass nur noch derjenige damit rechnen kann, den eigenen Kindern gute Startchancen zu geben, der in der Lage ist, viel zu zahlen.

Es ist kein Zufall, dass das erste weltweite Hochschulranking vor vier oder fünf Jahren in Shanghai erstellt wurde: Schon immer war man sich in China sehr genau bewusst, welches die Topuniversitäten des Landes sind. Wie in Japan oder Korea ist ein Abschluss an einer dieser Hochschulen nötig, um in Führungspositionen zu gelangen. Bezogen auf das Einkommen der Eltern sind die Studiengebühren an Chinas besten Universitäten höher als in den USA. Doch um dahin zu kommen, ist außer Geld auch noch ein gutes Mittelschulexamen nötig. Dieses wiederum erlangt man durch Nachhilfeunterricht. Selbst für die Primarstufe gibt es mittlerweile teure Privatschulen. Die Sparzwänge für die chinesische Durchschnittsfamilie sind also erheblich, auch wenn dies auf den ersten Blick in Europa anders aussehen mag, weil Chinesen in immer stärkerem Maße für die europäische Tourismusbranche interessant werden.

 
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