Bedroht China die Weltwirtschaft?

Von Napoleons «Wenn China sich erhebt» über die «Gelbe Gefahr» und die Hunnenrede Kaiser Wilhelms II.: Das moderne Europa hat sich schon immer vor dem Potential Chinas gefürchtet. Warnungen vor einer Deindustrialisierung des Westens reihen sich in diese Kette von Kassandrarufen ein. Anders als in früheren Zeiten allerdings hat die Globalisierung tatsächlich dazu geführt, dass Auswirkungen der Veränderungen in China auch in Europa zu spüren sind: Die schwäbische Textilindustide zum Beispiel unterhält nur noch kleine Dienstleistungszentralen zu Hause, lässt aber in Südchina fertigen. Die italienische und die spanische Schuhindustrie können sich der Konkurrenz aus Asien kaum mehr erwehren, und die Elektronikbranche scheint das nächste Opfer der chinesischen Expansion zu werden. Billige Autos aus Fernost stehen ebenfalls schon vor der Tür. In den USA beklagt sich die amerikanische Regierung darüber, dass ihre Handelsbilanz vor allem deshalb tiefrot ist, weil sie im Verkehr mit China ein jährliches Minus in Höhe von über hundert Milliarden US-Dollar aufweist.

Schlimmer noch ist die Angst vor einem großen Zusammenbruch des Landes. «The Coming Collapse of China» heißt ein populäres Buch, in dem vor einigen Jahren alle Probleme, vor denen China stand, zusammengefasst wurden zu einem Schreckensszenario für die Zukunft. Das Buch bündelte die Stimmen, die seit 30 Jahren vor einem Rückfall ins Chaos warnen. Im Hintergrund steht die Sorge, der Westen könne schon so tief im chinesischen Sumpf stecken, dass seine Wirtschaft im Krisenfall ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen würde. Mittlerweile hat ein großer Teil der multinationalen Konzerne in China investiert. Das bringt neue Abhängigkeiten mit sich. Sollte es dort, wie von Crash-Propheten vorhergesagt, zu Erschütterungen der Größenordnung von 1989 kommen, dann könnten sie nicht mehr wie damals durch eine Politik der China-Abstinenz reagieren. Das Geld zurückzuziehen wäre schlicht zu kostspielig.

Noch ein drittes Thema gehört hierher: China hält zusammen mit Japan die größten Dollar-Reserven der Welt. Würde das Land sich aus politischen Gründen dazu entschließen, diese in Euro oder Yen umzutauschen, wären die Auswirkungen auf den Kurs der US-Währung katastrophal. Doch natürlich würde sich China damit selbst schaden; denn da es sein Geld nicht schnell genug abziehen könnte, wären die eigenen Ersparnisse minimiert. Eine ähnliche Relativierung ist auch bei den anderen angesprochenen Themen angesagt: Gäbe es keine chinesischen Billigexporte, wäre das Leben in den USA und in Europa wesentlich teurer. Die Preisstabilität, die wir über eine zuvor unerreichte Zeitspanne genießen, wäre Geschichte. Deutsche Produkte gelten in China nach wie vor als qualitativ unerreicht; und es wird noch einer langen Aufholjagd bedürfen, bis rein chinesische Firmen dieselben Standards erzielen wie westliche Tochter unternehmen. Der wirtschaftliche oder politische Zusammenbruch eines Staates ist natürlich nie auszuschließen - doch erstaunlicherweise wird er China gerne vorhergesagt, anderen

Giganten (wie zum Beispiel Indien), die ähnliche soziale Probleme vor sich herschieben, jedoch nicht. Insofern erscheint es ratsam, Untergangsszenarien etwas gelassener zu betrachten.

 
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