Wird das Christentum heute unterdrückt?
Das Christentum hat sich in China lange Zeit sehr schwer getan. Die Jesuiten konnten zwar anfänglich mit ihrer Strategie Erfolge erzielen, Angehörige der Oberschicht zu missionieren, um auf diese Weise nicht mit den von ihnen als Volksreligionen angesehenen Lehren des Buddhismus und des Daoismus konkurrieren zu müssen. Obwohl sie besonders bei den ersten Kaisern der Dynastie Qing aufgrund ihrer mathematischen und naturwissenschaftlichen Kenntnisse und ihrer exotischen Geschenke gern gesehene Gäste waren, erreichten sie doch letztlich nicht das ersehnte Ziel, einen exklusiven Religionsstatus zu erhalten. Europäische Streitigkeiten setzten der katholischen Mission im 18. Jahrhundert ein Ende. Im 19. Jahrhundert traten die Protestanten aggressiver auf: Viele unter ihnen versuchten den Chinesen zu suggerieren, der Katholizismus sei eine rückständige Version des Christentums gewesen. Zwar war Sun Yat-sen, der Gründer der chinesischen Republik, Christ, und auch Chiang Kai-shek, sein Nachfolger, der bis in die 1970er Jahre auf Taiwan regierte, konvertierte zum Christentum, doch blieb der christliche Einfluss dennoch marginal; zum Teil wohl auch, weil die Kirchen sich den Zorn vieler Chinesen zugezogen hatten, indem sie ungeniert mit den kolonialistischen Interessen europäischer Großmächte paktierten und Verbrecher der chinesischen Gerichtsbarkeit entzogen.
Die sozialistische Volksrepublik China erlaubte ihren Bürgern zwar anfänglich, ihrer Religion weiter nachzugehen, erlegte den Gemeinschaften aber strenge Regeln auf. So fasste sie die Katholiken in einer Patriotischen Katholischen Vereinigung zusammen, die seit den späten 1950er Jahren ihre Bischöfe ohne vorherige Abstimmung mit dem Vatikan selbstständig ernannte. Während der Kulturrevolution ging man drastisch gegen Religionen aller Art vor, um den Sozialismus aus seinem Anfangsstadium auf eine höhere Stufe zu katapultieren. Kirchen wurden zu Fabriken und Lagerhallen umfunktioniert, woraufhin viele Christen in den Untergrund gingen. Sie bildeten sogenannte Hauskirchen, in denen sie sich in privatem Rahmen trafen, um die Messe zu zelebrieren. Zwar wurden die Restriktionen gegen das Christentum nach Ende der Kulturrevolution wieder aufgehoben, doch blieben die meisten der Hauskirchen bestehen. So existiert heute in der Volksrepublik China ein Nebeneinander von offiziellen Staatskirchen - der protestantischen und der katholischen Kirche -, die in zwei patriotischen Vereinigungen organisiert sind, und halböffentlich und im Untergrund agierenden Gemeinden. Hauskirchen sind nach amtlich chinesischer Lesart nicht verboten, solange sie sich nicht gegen die Staatsmacht und die sozialistische Ideologie stellen. Trotzdem wird immer wieder gegen als Sekten bzw. Kulte bezeichnete Gruppierungen vorgegangen.
Ein gesondertes Problem betrifft das Verhältnis des Vatikan zu China: Dessen Anspruch, Bischöfe zu weihen, widerspricht nämlich der chinesischen Verfassung, der zufolge Religionen nicht vom Ausland aus gesteuert sein dürfen. Papsttreue Christen sahen sich in der Vergangenheit deshalb immer wieder Verfolgungen ausgesetzt. Indes ist die Lage in den letzten Jahren trotz immer wieder auftauchender Spannungen von dem beiderseitigen Bemühen geprägt, die gegenseitigen Positionen zu verstehen und zu Kompromissen zu gelangen. Katholiken sind deshalb von Repressionen offenbar weitaus weniger betroffen als Protestanten, die vor allem aufgrund der Mission amerikanischer Splittergruppen in allen Teilen Chinas großen Zulauf haben.