Wie war die traditionelle Steilung der Frau?
Eine der Kampfformeln, mit denen das 20. Jahrhundert gegen die alte Tradition anging, war das Schlagwort von der Befreiung der Frau. Im Feudalismus sei sie unterjocht und versklavt gewesen. Zuerst habe sie zu Hause dem Vater dienen müssen, dann in der Ehe dem Mann, später gar ihrem Sohn. Freiheit habe sie niemals gekannt. Ganz so einfach war die Sache indessen nicht. Die chinesische Kultur ging von einer Trennung der Sphären aus: Außen hatte der Mann das Sagen, innen die Frau. Während also der Mann die Familie gesellschaftlich zu vernetzen hatte, war die innerfamiliäre Ordnung der Aufgabenbereich der Frau. Dazu gehörte unter anderem zumeist die Verwaltung der häuslichen Finanzen, ein Mittel, das die Ehefrauen mit erheblichen Kontrollmöglichkeiten ausstattete. Wie zahllose literarische Belege zeigen, behielten hochgestellte Frauen traditionell ihren Nachnamen. Das «Buch der Riten» betont, dass der Ahnenkult, die wichtigste familiäre Aufgabe eines jeden traditionellen Chinesen, von Mann und Frau gemeinsam durchgeführt zu werden hatte. Die beträchtliche Autorität, die Frauen innerfamiliär genossen, spiegelt eine große Zahl von Witzen wider, deren Thema die Angst des Mannes vor seiner Ehefrau ist.
Allerdings ging die Kontrolle in der Familie mit einem Verlust der gesellschaftlichen Bewegungsfreiheit einher. Frauen von hohem Rang verließen ihre Häuser im allgemeinen nur in Sänften und hatten sich den Blicken der Männer so weit wie möglich zu entziehen. Polygamie war nur in Familien die Regel, die sie sich leisten konnten. Dort allerdings sorgte sie nicht selten für Konflikte. Männer, die die nötigen Mittel hatten, kauften sich Konkubinen - häufig übrigens mit der Begründung, dass die Hauptfrau keinen Sohn geboren hatte, der die Ahnenlinie fortsetzen konnte. Obwohl Polygamie also erlaubt war, lebte der weit überwiegende Prozentsatz chinesischer Männer aus einfachen Schichten monogam.
Mit der zunehmenden Konfuzianisierung nach dem 13. Jahrhundert gingen erhebliche Einschränkungen für die Frauen einher: Witwen gegenüber wurde vor allem unter der letzten Dynastie in immer stärkerem Maße die moralische Forderung erhoben, sich nicht ein zweites Mal zu verheiraten. Ein wichtiger Grund für diese Entwicklung dürfte das starke Bevölkerungswachstum der Jahrhunderte zwischen 1500 und 1900 gewesen sein. Denn bei einer
Wiederverheiratung drohte das Erbe, über das Frauen aus ihren eigenen Familien verfügten, nicht in den Haushalt ihrer Kinder aus erster Ehe einzugehen, sondern entweder geteilt zu werden oder aber ganz in den Besitz der Kinder aus zweiter Ehe zu wandern. Eine zweite Ehe war auch deshalb verpönt, weil die erste von den Eltern zumeist ohne das Einverständnis der zu Verheiratenden arrangiert worden war, während die zweite natürlich von der Frau selbst eingefädelt werden konnte - in dieser Freiheit steckte ein subversives Element, das unerwünscht war.