Was hat es mit den gebundenen Füßen auf sich?
Um das Wachstum der Füße auf etwa zehn bis zwölf Zentimeter zu begrenzen, wurden schon kleinen Mädchen, deren Gliedmaßen noch sehr biegsam waren, die Füße gebrochen. Danach begann eine komplizierte und schmerzhafte Verschnürungstechnik. Das ganze Leben hindurch blieben diese «Lotosfüße» dann in rote Schuhe gesteckt, und ihre Pflege mit Salben war ein höchst intimer Moment. Seine Anfänge hatte dieser Brauch in der Song-Zeit, Verbreitung fand er unter den Ming, und unter den Qing schließlich sickerte er aus der Oberschicht in weite Teile der chinesischen Gesellschaft. Dies hatte wahrscheinlich zwei Gründe: Erstens kannten die über China herrschenden Mandschuren wie die Mongolen den Brauch nicht, weshalb sich die Möglichkeit bot, sich auf diese Weise von der Fremddynastie abzusetzen. Zweitens dauerte es vermutlich einige Jahrhunderte, bis er in der Oberschicht so verbreitet war, dass es sich auch für Familien niederer Schichten zu lohnen begann, ihre Töchter in dieser Form zu verstümmeln. Nachdem sich nämlich die gebundenen Füße, die sich nur Frauen leisten konnten, die keine körperliche Arbeit zu verrichten hatten, als Schönheitsideal durchgesetzt hatten, konnten in der Hierarchie weiter unten stehende Familien nur dann darauf hoffen, durch Einheirat zu höherem Stand zu gelangen, wenn auch ihre Mädchen dem Brauch folgten.
Über die Gründe dafür, warum man kleine Füße so schön fand, ist viel spekuliert worden: Die einen glauben, dass vornehme Männer die Bewegungsfreiheit ihrer Frauen einschränken wollten, um sie besser kontrollieren zu können. Andere gehen von einem Statussymbol aus, wieder andere meinen, dass die Trippelschritte die Vaginalmuskulatur stärken und dem Mann beim Geschlechtsverkehr einen zusätzlichen Lustgewinn bescheren sollten oder dass gebundene Füße eine elegante Bewegung, ähnlich derjenigen in Stöckelschuhen, erzeugen. Vielleicht ist die künstliche Verkleinerung der Füße auch nur die Fortsetzung des Bedürfnisses, möglichst kindhafte Frauen zu besitzen. Auf jeden Fall sind gebundene Füße von vielen Dichtern und Schriftstellern als hocherotisch beschrieben worden, was darauf hindeutet, dass die obigen Erklärungen möglicherweise allesamt zu rational sind. 1912 verbot die neue Regierung Chinas diesen Brauch; erst nach Beginn der kommunistischen Herrschaft wurden jedoch tatsächlich Sanktionen verhängt und durchgesetzt.