Welche Rolle spielt die traditionelle Medizin?

In Europa ist Akupunktur «in». Zahllose Arztpraxen schmücken sich mittlerweile mit Zertifikaten, die es ihnen erlauben, diese chinesische Behandlungsmethode an Patienten auszuüben. Doch wie sieht es mit der traditionellen Medizin in China selbst aus? Als Mao Zedong an die Macht kam, galt sie als billige Alternative, auf die man vor allem auf dem Land nicht verzichten konnte, da es nicht genügend westlich ausgebildete Ärzte gab. In den Städten, in denen die Versorgung besser war, trat die westliche Medizin indessen einen Siegeszug an. Medizinische Fakultäten bildeten ihre Studenten lange Zeit ausschließlich in dieser Richtung aus.

Traditionelle Medizin als ein einheitliches System gibt es eigentlich ursprünglich gar nicht. Vielmehr existierten zahllose verschiedene Schulen. Diese einten zwar bestimmte Methoden, vor allen Dingen in der Diagnostik, die sich sehr stark auf den Puls stützt. Doch Therapien und Arzneien waren häufig je nach Arzt oder Schultradition völlig verschieden. Akupunktur stellte dabei übrigens nur einen kleinen

Teilbereich dar, ebenso die Moxibustion, bei der bestimmte Punkte im Körper erhitzt werden. Viel wichtiger war die Kräutertherapie. In ihr liegt auch ein Grund für das Zurückweichen der chinesischen Medizin bis in die 1980er Jahre hinein: Die Kräuterdosierungen waren nämlich häufig ausgesprochen aufwendig und geruchsintensiv. Ähnliches gilt für die Ernährungslehre, deren Vorschriften nicht für jeden Patienten leicht einzuhalten waren. Chinesische Medizin baut außerdem stark auf den traditionellen kosmologischen Vorstellungen auf: Lebensmittel sind ebenso den Fünf Elementen zugeordnet wie eigentlich alle Körperteile, die in verschiedener Form mit einzelnen Organen in Zusammenhang gebracht werden. Eine Defizienz an einem Organ kann also auf ein Zuviel oder ein Zuwenig eines Elements zurückgeführt werden. Die Verbreitung der traditionellen Medizin nahm deshalb in dem Maße ab, in dem auch dieses Wissen zurückging.

Ihr Stellenwert blieb jedoch in der Volksrepublik China aufgrund der Maßnahmen Maos, aber auch aufgrund des großen Bildungsgefälles im Land höher als etwa auf Taiwan oder in Hongkong. Einen erheblichen Aufschwung, zu dem die europäischamerikanische Begeisterung beträchtlich beigetragen hat, erlebt sie seit den 1990er Jahren. Einerseits ist längst klar, dass chinesische Medizin ein Exportschlager ist, andererseits hat im Land seit Beginn des großen Wirtschaftsaufschwungs 1992 ohnehin eine starke Rückwendung zur Tradition stattgefunden. So finden sich heute wahrscheinlich mehr traditionell praktizierende Ärzte in Chinas Großstädten, als dies noch vor zwanzig Jahren der Fall war.

 
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