Warum ist die Sprache der Musik italienisch?
Italien erlebte VOm Ende des 17. Jahrhunderts bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts einen wahren Musikboom. Das Land, das bereits die Vorreiterrolle in Musikdruck, -ausbildung und -förderung eingenommen hatte und seit dem 14. Jahrhundert die größte Anzahl europäischer Musiker, beispielsweise aus Frankreich und den Niederlanden, angelockt hatte, wurde jetzt zum weltgrößten Exporteur von Musik und Musikern. Italienische, meist venezianische oder römische Musiker und Komponisten wanderten in alle geographischen Winkel Europas aus und besetzten einflussreiche Positionen an europäischen Höfen, besonders gefördert vom Habsburgischen Königshaus. Sie galten als die am besten ausgebildeten Musiker. Das Collegio Germanico in Rom versorgte ganz Europa mit Sängern, und die italienische Oper wurde von reisenden Musikertruppen international bekannt gemacht, so dass in vielen Ländern Europas Italienisch selbstverständlich als Sprache für Opernlibretti galt. Damit setzten sich italienische Wörter und Ausdrücke in der musikalischen Praxis durch, zugleich wurden Musikalien mit der Ausbreitung des Verlagswesens erstmals in ganz großem Stil in Italien und nach und nach international verfügbar. Das Auswandern vieler Spitzenmusiker hatte allerdings eine musikalische Verarmung im eigenen Lande zur Folge.
Im Laufe der Zeit wandelte sich die Verwendung zahlreicher italienischer Bezeichnungen, oder ihr Gebrauch in der Musikfachsprache wurde so verallgemeinert, dass der Sinn des Wortes im heutigen Italienisch von seiner Bedeutung in der Musik abweicht. Das Wort allegro beispielsweise heißt auf Deutsch «munter», im musikalischen Bereich wird es aber oft nur noch mit «schnell» gleichgesetzt. Italienische Begriffe werden heute hauptsächlich gebraucht, um Angaben zum musikalischen Ausdruck (Dynamik, Tempo, Spieltechnik) zu machen. Viele Grundbegriffe der musikalischen Terminologie sind hingegen griechischen (Harmonie, Melodie, das Wort «Musik» selbst) oder lateinischen (die Namen der Intervalle wie Prime, Sekunde oder Terz) Ursprungs. Bereits im
19. Jahrhundert verwendeten Komponisten wie Robert Schumann, Fanny Hensel und Ludwig van Beethoven in ihren Werken zunehmend Begriffe aus dem eigenen Wortschatz für die genauen Ausdrucksbezeichnungen. Im 20. und 21. Jahrhundert gehören die italienischen Begriffe weiterhin zum Kanon der Fachterminologie, jedoch machen mit der enormen Zunahme der musikalischen Gestaltungsmittel viele Komponisten Angaben in ihrer Muttersprache oder - der internationalen Verständlichkeit halber - auch auf Englisch. Fachbegriffe, die wie zum Beispiel Synthesizer oder Sampling aus dem elektronischen Bereich stammen, und die Terminologie der Jazz- und Popularmusik (Voicing, Lead-Sheet oder Ähnliches) werden ohnehin vorwiegend der englischen Sprache entlehnt.