Was ist die Botschaft der Hiob-Dichtung?

In der um 500 v. Chr. lebenden Generation bewegte ein einziger Fragenkreis die Intellektuellen des Volkes Israel: Wie ist es zum Untergang der judäischen Monarchie im Jahr 586 v. Chr. gekommen? Warum konnten die Babylonier den Jerusalemer Tempel zerstören, viele Menschen töten, Tausende nach Babylonien verschleppen und das Volk ins Unglück stürzen? Mit der politischen Antwort, dass die Babylonier militärisch überlegen waren, wollte man sich nicht zufrieden geben. Man brachte Gott ins Spiel. Zwei Antworten lagen miteinander im Streit:

(1) Das Unglück ist als Strafe Gottes für die Vergehen des Volkes zu werten. Gottes Gesetze gelten nur für das Volk Israel; solange sich das Volk an sie hält, geht es ihm gut; Ungehorsam wird durch Strafe geahndet. Diese Auffassung beherrscht die Bücher Exodus, Deuteronomium und jene Bücher, die von Israels Königen berichten und deren Geschichte als eine einzige Kette von Verstößen schildern. Auch das Danielbuch folgt diesem Muster.

(2) Leid und Unglück gibt es auch ohne individuelles oder kollektives Verschulden. Das menschliche Leben - Israels Leben wie alles Leben - steht prinzipiell unter Gottes Segen, doch dieser Segen muss sich gegen Widerstände durchsetzen, auf die Gott wenig Einfluss hat. Diese Lehre findet sich im Buch Hiob und in der Genesis. Auch im Neuen Testament herrscht sie vor. Es ist der Glaube derer, die Gottes Offenbarung in der Natur - und im geistlichen Drama (vgl. Frage 31) - mehr trauen als der Lehre von einer mosaischen Gesetzes-Offenbarung.

 
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