Hatte Karl eine Lieblingsresidenz?

Schon in merowingischer Zeit besuchten die Könige eine Reihe von Pfalzen häufiger als andere. Dazu gehörten etwa Compiegne und Quierzy nördlich von Paris, Attigny bei Reims und Herstal bei Lüttich. Noch für Karls Vater Pippin sind die meisten Aufenthalte an diesen Orten bezeugt. Auch Karl der Große hielt sich in den ersten Jahrzehnten seiner Regierung häufig in diesen alten Pfalzen auf, wenn er sich nicht auf Kriegszügen befand. Aber bei ihm zeigt sich eine deutliche Schwerpunktverlagerung nach Osten. Seine Lieblingspfalzen waren Worms (16 Aufenthalte), Herstal (12) und Diedenhofen (7); auch Düren (6) und Quierzy (6) wären noch zu nennen.

Pfalzen und wichtige Aufenthaltsorte Karls des Großen

Modell der Aachener Pfalz (nach Hugot)

Alle diese Aufenthaltsorte wurden aber bei weitem übertroffen von Aachen, für das 27 Aufenthalte bezeugt sind; zuerst hielt Karl sich dort im Winter 768/69 auf. Während ein erstes wichtiges Kapitular 779 noch in Herstal erlassen wurde, kam die bedeutende Admonitio generalis, das «Grundgesetz» Karls des Großen, 789 in Aachen heraus, wo er den Winter 788/89 verbracht hatte. Seit 794/95 hielt er sich während seiner restlichen Regierungszeit mit drei Ausnahmen stets in der kalten Jahreszeit in seiner Lieblingspfalz auf, die damit eigentlich schon als Hauptstadt des Frankenreiches bezeichnet werden kann. Im Winter 797/98 war er in Herstelle an der Weser, im Winter 800/01 in Rom und im Winter 805/06 in Diedenhofen. Nach 806 verließ Karl Aachen überhaupt nur noch selten. Aachen besaß, wie bereits erwähnt (siehe Frage 20), in den Augen Karls des Großen vor allem zwei Vorzüge: In den ausgedehnten Wäldern westlich der Pfalz konnte er seinem Jagdvergnügen nachgehen und in den heißen Quellen am Ort konnte er schwimmen.

Ehe Aachen zur Dauerresidenz Karls wurde, ließ er dort eine Reihe von Neubauten errichten, die diese Residenz auch für ausländische Besucher zu einem eindrucksvollen Ort werden ließen. Denn hier empfing er spätestens seit 801 Gesandte aus dem Ausland, etwa aus Bagdad (807) oder aus Konstantinopel.

Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Karl der Große sich von der Reiseherrschaft abwenden und von einer festen Residenz aus regieren konnte, bestand darin, dass er anscheinend erfolgreich versuchte, seine Anweisungen schriftlich zu erteilen, und überhaupt der Schriftlichkeit einen hohen Wert zuerkannte. Dass Karl zudem über großes Selbstvertrauen und auch große Sicherheit verfügt haben muss, als er von einer Hauptstadt aus regierte, zeigt sich - gleichsam im Gegenbild - unter Ludwig dem Frommen, der zwar die ersten acht Jahre seiner Herrschaft noch von Aachen aus regierte, dann aber nach 822, als es zu einer ersten schweren Autoritätskrise gekommen war, zur älteren Form der Reiseherrschaft zurückgekehrt ist. Auch die ostfränkisch-deutschen Könige und Kaiser der zweiten Hälfte des 9. und des 10. bis 13. Jahrhunderts regierten wieder «vom Sattel aus».

 
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