Geht das Kurfürstenkolleg auf Karl den Großen zurück? Das
Kurfürstenkolleg, also die sieben Fürsten, die zur Wahl eines römischdeutschen Königs berechtigt waren, bildete sich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts allmählich heraus.
Papst Innocenz III. (1198-1216) hatte in einer Dekretale (päpstliche Rechtsauskunft), die mit dem Wort Venerabilem beginnt, behauptet, dass die Päpste den deutschen Fürsten das Recht zur Königswahl übertragen hätten. Dieser Behauptung wollten die Gegner der päpstlichen Oberherrschaft entgegentreten. Zuerst in der Karlsdichtung des Stricker (zwischen 1215 und 1230 entstanden; siehe Frage 80), taucht die Erzählung auf, dass Karl der Große den Fürsten das Königswahlrecht verliehen habe. Karl habe der Jungfrau Maria eine Kirche geweiht, in der die deutschen Fürsten ihren König wählen und krönen sollten; und der Ort, an dem diese Kirche steht, ist Aachen. Auf diese Weise sollte eine Beteiligung des Papstes an der Königserhebung ausgeschlossen werden.
In dem um 1288 entstandenen und im Spätmittelalter weit verbreiteten Memorierte des Kölner Kanonikers Alexander von Roes (2. Hälfte des 13. Jahrhunderts) heißt es (c. 24):
«Man wisse also, dass der heilige Kaiser Karl der Große mit Zustimmung und im Auftrag des Papstes aus göttlicher Eingebung bestimmt und angeordnet hat, dass das Römische Kaisertum für immer an die rechtmäßige Wahl durch die deutschen Fürsten gebunden bleiben sollte.» Im weiteren Verlauf des Kapitels werden als wahlberechtigte Fürsten die drei Erzbischöfe von Trier, Köln und Mainz sowie der Pfalzgraf bei Rhein genannt. Ob Alexander die drei übrigen Kurfürsten - den König von Böhmen, den Herzog von Sachsen und den Markgrafen von Brandenburg - wohl weggelassen hat, weil er wusste, dass diese Gebiete in Karls Zeit gar nicht zum Frankenreich gehört hatten?