War Hitler der tapfere Frontsoldat, als der er sich später ausgegeben hat?

Hitler hat sich in den Jahren seines Aufstiegs zum «Führer» der nationalsozialistischen Bewegung gern als Frontsoldat präsentiert, der keine Gefahr gescheut und nahezu täglich sein Leben aufs Spiel gesetzt habe. Die NS-Propaganda hat diese heroisierende Selbstdarstellung nach 1933 in unzähligen Veröffentlichungen popularisiert, und sie hat nach 1945 auch Eingang in die wissenschaftliche Literatur gefunden. Doch schon in den zwanziger Jahren, mehr noch zu Beginn der dreißiger Jahre wurden Zweifel laut. So veröffentlichten Veteranen des Regiments List im Frühjahr 1932 Artikel in sozialdemokratischen Zeitungen, in denen sie ihrem ehemaligen Kameraden vorwarfen, gar nicht in vorderster Linie gekämpft, sondern den Krieg außerhalb der eigentlichen Gefahrenzone im Regimentshauptquartier verbracht zu haben.

Tatsächlich war Hitler schon bald nach seiner «Feuertaufe» in der Schlacht von Ypern Ende Oktober 1914, die für ihn ein traumatisches Erlebnis war, zum Regimentsstab abkommandiert worden. Er diente fortan bis zum Kriegsende als einer von mehreren Meldegängern. Deren Aufgabe bestand darin, während der Kämpfe, wenn die Fernsprechleitungen nicht mehr funktionierten, die Befehle des Regimentskommandeurs zu den Bataillons- und Kompanieführern zu bringen. Sie waren also nicht, wie die Soldaten in den Schützengräben, dem mörderischen Maschinengewehrfeuer und den Kugeln der Scharfschützen ausgesetzt. Doch risikolos war ihr Dienst nicht. Die größte Gefahr drohte ihnen von den hinter der ersten Frontlinie einschlagenden Artilleriegeschossen, in der zweiten Kriegshälfte auch von Gasgranaten.

Hitler wurde denn auch zweimal verwundet - das eine Mal durch einen Granatsplitter in der Somme-Schlacht im Oktober 1916, das andere Mal durch einen Gasangriff zwei Jahre später. Er war gewiss kein schneidiger Draufgänger, der sich durch besondere Tapferkeit auszeichnete, aber auch kein «Etappenschwein», dessen einziges Bestreben gewesen sei, unter den vergleichsweise komfortablen Bedingungen des Regimentshauptquartiers den Krieg unbeschadet zu überstehen. Er war eher ein unauffälliger Soldat, der, wie ihm der ehemalige Regimentsadjutant Fritz Wiedemann in seinen Erinnerungen bescheinigte, «still und ruhig seine Pflicht tat». Wenn er sich als Meldegänger vor gefahrvollen Aufträgen gedrückt hätte, wäre ihm im August 1918 wohl kaum das Eiserne Kreuz I. Klasse verliehen worden - für einen Gefreiten eine ungewöhnliche Auszeichnung. Das Eiserne Kreuz II. Klasse hatte er bereits im Dezember 1914 bekommen.

 
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