Der erste Griff nach der Macht

Warum ließ sich Hitler im November 1923 auf das Risiko eines Putsches ein?

Im Sommer und Herbst 1923 beschleunigte sich der Verfall der deutschen Währung, der bereits mit Kriegsende eingesetzt hatte. Gleichsam über Nacht sahen sich große Teile des Mittelstands und der Arbeiterschaft ihrer Ersparnisse beraubt, während Glücksritter und Spekulanten die Gunst der Stunde nutzten, um riesige Vermögen anzuhäufen. Die Hyperinflation verschärfte die Notlage und Verzweiflung breiter Volksschichten. Eine Welle von Streiks und Hungerunruhen erschütterte das Land. In München und Bayern verzeichnete die NSDAP einen starken Zulauf. Zwischen Februar und November 1923 traten 35.000 neue Mitglieder der Partei bei, so dass sich ihre Gesamtzahl auf 55.000 erhöhte. Mit seinen aufpeitschenden Reden schürte Hitler die Erwartungen auf einen baldigen Umsturz, auf eine «nationale Revolution». Damit setzte er sich und seine Bewegung zunehmend unter Handlungsdruck. Ende September 1923 übernahm er die politische Führung des Deutschen Kampfbundes - eines von der Reichswehr geförderten Zusammenschlusses mehrerer paramilitärischer Verbände, darunter die von Hermann Göring befehligte Sturmabteilung (SA).

Gegenspieler Hitlers in Bayern war das sogenannte Triumvirat: Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr, der Befehlshaber der Reichswehr in Bayern, Generalleutnant Otto von Lossow, und der Chef der bayerischen Landespolizei, Oberst Hans von Seißer. Auch sie wollten eine «nationale Diktatur» errichten, die Initiative dazu sollte jedoch von der Reichswehrführung in Berlin ausgehen. Hitler hingegen wollte zunächst die Diktatur in München ausrufen und von hier aus nach dem Vorbild Mussolinis den «Marsch auf Berlin» antreten. Für das Unternehmen gewonnen hatte er General a. D. Erich Ludendorff, der schon beim gegenrevolutionären Kapp-Putsch in Berlin im März 1920 die Fäden gezogen hatte.

Aus seinen Absichten machte der NSDAP-Vorsitzende in einer Rede im Zirkus Krone am 30. Oktober 1923 keinen Hehl: «Bayern hat heute eine große Mission (...) Wir müssen den Kampf hinaustragen, den Stoß ins Herz führen (...) Für mich ist die deutsche Frage erst dann gelöst, wenn die schwarzweißrote Hakenkreuzfahne vom Berliner Schloß weht.» In den ersten Novembertagen wurde deutlich, dass das Triumvirat nicht bereit war, die Initiative zu ergreifen. Hitler aber konnte nach den großsprecherischen Ankündigungen nicht länger warten, wollte er die hochgespannten Erwartungen seiner Anhänger nicht enttäuschen. So trat er die Flucht nach vorn an. Am Abend des 6. November fasste er den Entschluss zum Losschlagen.

Ursprünglich sollte die Aktion am 11. November, dem Tag der Unterzeichnung des Waffenstillstands 1918, stattfinden. Doch dann entschied sich Hitler, den Termin auf den 8. November vorzuverlegen, als bekannt wurde, dass Kahr am Abend dieses Tages eine Rede im Bürgerbräukeller halten wollte, zu der alles, was Rang und Namen in der Stadt hatte, geladen wurde. Mit der handstreichartigen Besetzung des Bürgerbräukellers bot sich die Gelegenheit, faktisch die gesamte politische Prominenz Münchens in die Hand zu bekommen und die Initialzündung zum Putsch zu geben. Das Triumvirat sollte auf diese Weise vor vollendete Tatsachen gestellt und zum Mitmachen gezwungen werden.

 
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