Wie kam es zum Schlag gegen die SA-Führung Ende Juni 1934?

Nach Abschluss der ersten Phase der «Machtergreifung» im Sommer 1933 sah sich die SA ihrer wichtigsten Aufgabe beraubt, als verlängerter Arm der NSDAP die politischen Gegner zu terrorisieren und auszuschalten. In den Reihen der «alten Kämpfer» machte sich Unzufriedenheit breit. Viele hatten gehofft, dass sich mit der Übernahme der Macht auch ihre Situation schlagartig verbessern würde, und fühlten sich nun von den «Parteibonzen» und der mit ihnen verbündeten «Reaktion» um die Früchte des Sieges betrogen. SA-Stabschef Ernst Röhm griff diese Stimmungen auf. Er wollte seiner Organisation, die bis Sommer 1934 auf viereinhalb Millionen Mitglieder anwuchs, eine herausgehobene Rolle im «Dritten Reich» sichern. Was ihm vorschwebte, war, die SA in ein Milizheer umzuwandeln und der Reichswehr das Waffenmonopol streitig zu machen. Damit forderte er nicht nur die Reichswehrführung heraus, sondern auch Hitler, der das bereits Anfang Februar 1933 geschmiedete Bündnis mit der Generalität in Frage gestellt sah.

Bei einem Treffen zwischen den Spitzen der Reichswehr und den SA-Führern am 28. Februar 1934 erteilte Hitler den Milizplänen Röhms eine klare Absage. Die Reichswehr sollte auch künftig «einziger Waffenträger der Nation» sein und auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht ausgebaut werden. Röhm fügte sich nur zum Schein. Der Konflikt schwelte weiter. Anfang Juni 1934 nahm Hitler Röhm das Versprechen ab, die SA für den Monat Juli in Urlaub zu schicken und sich selbst zu einer Kur nach Bad Wiessee am Tegernsee zu begeben.

In der zweiten Junihälfte spitzte sich die Situation dramatisch zu. Der Anstoß ging nicht von der SA, sondern von Papen aus. Um den Vizekanzler hatte sich eine Gruppe junger Konservativer versammelt, die in den Spannungen innerhalb der NS-Bewegung eine Chance sah, den totalen Machtanspruch Hitlers zu begrenzen und die Entwicklung des Regimes in die gemäßigte Bahn einer monarchischen Restauration zu lenken. Am 17. Juni 1934 hielt Papen an der Universität Marburg einen Vortrag, in dem er offen Kritik am Personenkult um Hitler und am ungezügelten Radikalismus des Regimes übte.

Damit spielte er Hitler die Gelegenheit zu, den Machtkampf mit einem Doppelschlag zu seinen Gunsten zu entscheiden - gegen die SA-Führung auf der einen und gegen die «Reaktion» um Papen auf der anderen Seite. Um die Aktion nicht nur vor den eigenen Anhängern, sondern auch vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen, ließ er SD und Gestapo ein trübes Gemisch aus Gerüchten und Falschmeldungen fabrizieren, das den Beweis eines unmittelbar drohenden Putsches der SA liefern sollte. Dabei scheute er auch nicht davor zurück, die bekannten homosexuellen Neigungen Röhms als belastendes Argument gegen den SA-Stabschef ins Feld zu führen.

In der Nacht vom 29. auf den 30. Juni flog Hitler von Bad Godesberg nach München und fuhr von dort mit einem SS-Kommando und Kripobeamten weiter nach Bad Wiessee. Er ließ Röhm und die dort anwesenden SA-Führer festnehmen und ins Gefängnis nach München-Stadelheim bringen. Sechs SA-Männer, deren Namen er auf einer Liste mit Grünstift angekreuzt hatte, wurden am Nachmittag des 30. Juni exekutiert. Röhm, der zunächst noch am Leben blieb, wurde am Tag darauf auf Befehl Hitlers liquidiert. Gleichzeitig wurden in Berlin die Exekutionskommandos in Bewegung gesetzt. Papens Mitarbeiter Edgar Julius Jung und Herbert von Bose wurden erschossen; der Vizekanzler selbst kam mit dem Leben davon. Hitlers Schergen nutzten die Gelegenheit, um alte Rechnungen zu begleichen. Ihnen fielen unter anderen General Kurt von Schleicher, der letzte Reichskanzler vor Hitler, mitsamt seiner Frau, der ehemalige bayerische Generalstaatskommissar, Gustav Ritter von Kahr, und der ehemalige Reichsorganisationsleiter der NSDAP, Gregor Straßer, zum Opfer. Bekannt sind die Namen von 90 Ermordeten; die tatsächliche Zahl wird auf das Doppelte geschätzt.

Mit der «Nacht der langen Messer» enthüllte sich endgültig die verbrecherische Natur des NS-Regimes und seines «Führers». Doch in der deutschen Bevölkerung wurde der blutige Schlag gegen die SA-Führung mit Erleichterung aufgenommen. Hitler wurde für sein «tatkräftiges Handeln» gepriesen - ein Zeichen dafür, wie abgestumpft das Rechtsempfinden bereits nach eineinhalb Jahren der NS-Diktatur war. Vor dem Reichstag übernahm der Reichskanzler am 13. Juli 1934 die volle Verantwortung für die Mordaktion: Wenn ihm jemand vorwerfe, nicht die ordentlichen Gerichte zur Aburteilung herangezogen zu haben, könne er nur antworten: «In dieser Stunde war ich verantwortlich für das Schicksal der deutschen Nation und damit des deutschen Volkes oberster Gerichtsherr.» In einem Artikel mit der Überschrift «Der Führer schützt das Recht» feierte der «Kronjurist des Dritten Reiches», der Staatsrechtler Carl Schmitt, diesen jedem Rechtsdenken hohnsprechenden Standpunkt.

 
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