Wie übte Hitler seine Herrschaft aus?
Als Reichskanzler vermied es Hitler nach Möglichkeit, seine Befehle schriftlich zu fixieren. Er erteilte sie zumeist mündlich und überließ es seinen Mitarbeitern, sie in praktikable Anweisungen zu übersetzen und an die zuständigen Ressorts weiterzuleiten. Für diejenigen, die Zugang zum Diktator hatten und etwas bei ihm durchsetzen wollten, bestand die Kunst darin, ihm bei günstiger Gelegenheit in einem Vier-Augen-Gespräch Zusagen zu entlocken, die dann als «Führerwille» deklariert und in den Entscheidungsprozess eingespeist werden konnten. Andererseits ermutigte dieser extrem personalisierte Herrschaftsstil die nachgeordneten Chargen auch, mit eigenen Initiativen voranzugehen, um das, was Hitlers Intentionen zu entsprechen schien, mit vorbereiten und anschieben zu helfen. «Dem Führer entgegenarbeiten» - darin sieht der britische Historiker und Hitler-Biograph Ian Kershaw zu Recht einen Schlüssel zum Verständnis des NS-Herrschaftssystems. Darin lag auch eine Ursache für die fortlaufende Radikalisierung des Regimes, weil sich Hitlers Satrapen im Wettlauf um die Gunst des Diktators mit radikalen Forderungen zu übertrumpfen suchten.
Seine schon vor 1933 erprobte Technik, nach dem Muster des divide et impera Kompetenzen zu verwischen und Ämter doppelt zu besetzen, um Rivalitäten zu schüren und damit seine Stellung unangreifbar zu machen, entwickelte Hitler nach seinem Machtantritt zur Perfektion. Die scheinbar paradoxe Folge war, dass sich unterhalb der monokratischen Spitze eine Polykratie der Ämter und Ressorts herausbildete, die um Macht und Einfluss rangen. Für bestimmte, als vordringlich erachtete Aufgaben, wie etwa den Autobahnbau oder die Entwicklung des Arbeitsdienstes, setzte Hitler Sonderbevollmächtigte ein, die ihm direkt verantwortlich waren. Aus den daraus zwangsläufig resultierenden Kompetenzkonflikten zwischen den Sonderstäben, den Ministerien und Parteidienststellen hielt sich Hitler weitgehend heraus - geleitet von der sozialdarwinistischen Vorstellung, dass sich in diesem Gerangel am Ende der Stärkere und damit Effektivere durchsetzen werde.
Zur Auflösung der herkömmlichen Formen des Regierungshandelns gehörte auch, dass Hitler das Reichskabinett in den Jahren 1934 bis 1937 immer seltener einberief. Am 5. Februar 1938 fand die letzte Sitzung statt. Durch den Bedeutungsverlust des Kabinetts rückte der Chef der Reichskanzlei, Hans Heinrich Lammers, als Mittler zwischen Hitler und den Reichsministerien in eine Schlüsselposition. In den letzten Jahren des Regimes sollte Lammers jedoch den Machtkampf mit Martin Bormann, dem Leiter der Parteikanzlei und «Sekretär des Führers», verlieren, der im Führerhauptquartier den privilegierten Zugang zum Diktator regelte.